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#225 Die neue Mutti
Episode Transcript
Willkommen bei Mott Lust, einem Podcast der Partner in Crime.
Hier geht es um wahre Verbrechen und ihre Hintergründe.
Mein Name ist Paulina Kraser und normalerweise sitzt hier mit mir meine Kollegin und Freundin Laura Wolas, mit der ich immer einen bedeutsamen, wahren Kriminalfall nacherzähle.
Gemeinsam ordnen wir den ein, erörtern oder diskutieren die juristischen, psychologischen oder auch die gesellschaftlichen Aspekte und sprechen mit Menschen mit Expertise.
Heute aber für euch alleine durch diese Folge.
Hier geht es um True Crime, also auch um die Schicksale von echten Menschen.
Bitte behaltet das immer im Hinterkopf.
Das machen wir auch.
Selbst dann werden wir zwischendurch mal etwas abschweifen.
Das ist für uns so eine Art Comic-Ulif, aber natürlich nicht despektierlich gemeint.
Bevor wir mit der heutigen Folge starten, in der es um das plötzliche Auseinanderreisen einer Familie und eine lange Suche nach den Gründen geht, werde ich mit euch ein kurzes Gedankenexperiment machen.
Das trägt den Namen Schleier des Nicht-Wissens und ist von John Rawls.
Und zwar geht es um eine fiktive Situation.
Stellt euch vor, ihr wacht in einem Raum auf, ohne zu wissen wer ihr seid, wo ihr herkommt, was eure Familie von Hintergrund hat, welchen Bildungsgrad ihr habt, sogar ohne zu wissen, welche Hautfarbe ihr habt.
oder sagen wir anders, welche Vor- oder Nachteile euch die Hautfarbe bringt, die ihr habt, welche Benachteiligungen oder Anfeindungen eventuell.
Ihr wisst auch nicht, welches Geschlecht ihr habt oder welche Fähigkeiten ihr habt, ihr wisst nur, dass ihr gleich in eine neue Gesellschaft geschickt werdet.
Und ihr könnt jetzt, bevor ihr diesen Raumverlass selbst, entscheiden, wie diese Gesellschaft aussehen soll.
Was wählt ihr dann?
Wählt ihr eine kapitalistische Gesellschaft, in der es viel Wettbewerb gibt, starke individuelle Rechte, aber in der eben einige Menschen sehr reich sind und andere sehr arm?
Wählt ihr eine sozialdemokratische Gesellschaft mit Marktwirtschaft, aber mit sozialen Sicherungssystemen und einem Staat, der versucht Chancen auszugleichen?
Wählt ihr eine sozialistische Gesellschaft, in der dann Gleichheit das oberste Ziel ist und in der die Gemeinschaft wichtiger ist als eure eigenen Interessen?
Wollt ihr eine autoritäre Gesellschaft mit klaren Hierarchien?
in der es ganz viel Sicherheit gibt, aber Rechte eingeschränkt werden?
oder wollt ihr eine libertäre Gesellschaft, in der es extrem individuelle Freiheiten gibt, aber eben jeder für sein eigenes Glück verantwortlich ist.
Ich habe diese Gesellschaft zwar mir jetzt ganz doll runtergebrochen.
Was würdet ihr wählen, wenn ihr nicht wisst, wo ihr in der Nahrungskette seid, sobald ihr diesen Raum verlasst?
Der Politikphilosoph Rawls sagt, wenn Menschen wirklich nicht wissen, wer sie in der Gesellschaft sein werden, dann wählen sie fast immer ein System, das die Schwächsten schützt.
Das bedeutet, eine Gesellschaft, die möglichst gerecht ist und niemanden zurücklässt.
Wenn man ja auch nicht weiß, ob man selbst zu den zurückgelassenen gehört.
Es gibt auch Umfragen, die diese Theorie bestätigen, Menschen neigen dazu, faire Systeme zu wählen, sobald sie den eigenen Vorteil nicht kennen.
Warum mache ich das Experiment mit euch?
Diese...
Die Idee eines solchen Systems begegnet uns, wenn wir auf die deutsche Geschichte schauen.
Jetzt nicht, weil die Menschen, so wie in dem Gedankenexperiment, frei darüber entscheiden hätten können, wie ihr Staat aussehen soll.
Das war gerade in der Nachkriegszeit ausgeschlossen.
Aber in dieser Zeit entstand ein System, das sich selbst den Anspruch gab, genau diese Werte zu verkörpern.
Also Gleichheit, Solidarität und Sicherheit.
Nur wurde dieses Versprechen nicht gehalten.
Stattdessen verwandelte sich dieser Anspruch auf gerechtig...
in Kontrolle, Überwachung und staatliche Bevormundung, die tief in das Privatleben der Bürgerinnen-Eingriff.
Und zwar so sehr, dass einige Menschen, die als System kritisch galten, alles genommen wurde, inklusive dem, was ihnen am Heiligsten war.
Und von so einem Fall erzähle ich euch gleich.
Einige Namen haben wir geändert und die entsprechende Trigger-Warnung findet ihr wie immer in der Folgenbeschreibung.
Jutta ist schon wieder spät dran.
An diesem Januartag, im Jahr neunzehnhundertzehnhundertzehn, läuft sie mit der vierjährigen Katrin an der Hand, so schnell es geht, durch die Straßen von Gera.
Die Beine ihrer kleinen Tochter können aber noch nicht so schnell, wie sie gerne spurten möchte.
Schon nach dem Aufstehen hat Katrin wie immer beim Zähneputzen gebummelt und sich danach auch noch geweigert, ihre Hose anzuziehen.
Gleichzeitig musste Jutta, die allein erzehnt ist, auch noch Katrins älteren Bruder René helfen, sich für die Schule fertig zu machen.
Jutta versucht immer, geduldig mit den beiden zu sein.
Schließlich verstehen die Kleinen noch nichts vom Stress und den Arbeitszeiten der Erwachsenen.
Aber darauf, sie regelmäßig durch die glattgeeisten Gassen der Innenstadt zu ziehen, hat Jutta auch keine Lust.
Als sie endlich den Kindergarten erreichen, wird Jutta von der Erzieherin mit einer unerwarteten Nachricht überrascht.
Ab jetzt ist hier kein Platz mehr für Katrin, wird ihr gesagt.
Sie können ihre Tochter nicht mehr herbringen.
Konkrete Gründe will man ihr keinen nennen.
Jutta ist wie vor den Kopf gestoßen und steht fastungslos draußen auf der Straße.
Ein paar Sekunden nach diesem Gespräch steigt in Jutta erst Verzweiflung auf, dann Wut.
Das soll also die tolle Kinderbetreuung sein, die arbeitenden Müttern angeblich den Rücken frei hält.
Jutta und ihre Kinder leben immerhin in der DDR, einem Staat, der sich als besonders frauenfreundlich präsentiert.
Offiziell geht das Land als Vorreiter, wenn es um die Erwerbstätigkeit von Frauen geht.
Die Regierung rühmt sich mit umfassender Kinderbetreuung, die es Frauen ermöglichen soll, sich genauso im Beruf zu verwirklichen wie Männer.
Während in der Bundesrepublik noch oft erwartet wird, dass Frauen zu Hause bleiben, wirkt das System der DDR dahingehend fast wie ein Schritt in die Zukunft.
Warum steht Jutta nun also mit Katrin auf der Straße, wo sie doch eigentlich zur Arbeit muss?
Wer soll denn jetzt auf Katrin aufpassen?
Man hat Jutta auf Arbeit sowieso schon auf dem Kicker, weil sie wegen der Kinder nicht im Schichtdienst arbeiten will.
Das würde für sie noch weniger Zeit mit dem Kleinen bedeuten.
Jutta weiß nicht, wie sie das jetzt alles ohne Betreuung hinbekommen soll.
Sie als Alleinerziehende ohne Berufsausbildung.
Sie, die in verschiedenen Aushilfsjobs als Bedienung, Reinigungskraft oder Wäscherin arbeitet, um ihre kleine Familie zu ernähren.
Und dann besitzt das Jugendamt auch noch die Frechheit mehrmals unangekündigt bei ihr vorbeizukommen, um sie zu kontrollieren.
Ob sie es schaffen, würde sich ausreichend um ihre Kinder zu kümmern, wollten sie wissen.
Jutta tut alles für ihre Kinder, aber in Momenten wie diesen weiß sie einfach nicht wie.
Als sie dort vor verschlossener Kita steht, ist sie so aufgebracht, dass sie laut ausruft, wie soll ich denn meiner Arbeit nachgehen, wenn ihr mir den Kindergartenplatz auch noch wegnehmt?
Dann kehrt sie aus ihren Gedanken zurück in die Gasse und blickt zu ihrer kleinen Katrin, die ungewohnt still ist.
Jutta sieht, dass ihre Tochter Tränen in den Augen stehen.
Sofort nimmt sich Jutta wieder zusammen und hockt sich vor sie.
Was ist denn los, mein Schatz?
Katrin sagt, sie ist traurig, weil es heute falschen Hasen, also Hackbraten im Kindergarten gibt, und sie sich schon so darauf gefreut hat.
Jutta schluckt ihre eigenen Gefühle für einen Moment herunter und tröstet Katrin.
Wir kochen uns einfach selbst was Schönes, sagt sie aufmunternd.
Katrin kann für all das schließlich nichts.
Und Jutta hat sich fest vorgenommen, ihren Frust nicht an ihren Kindern auszulassen, anders als ihre eigenen Eltern es bei ihr getan haben.
Ihre Eltern hatten sie geschlagen, bis Jutta mit vierzehn von zu Hause abgehauen ist.
Auf dem Rückweg zur Wohnung führt es Jutta und Katrin durch die Altstadtgassen ihrer thüringischen Heimatstadt.
Auch jetzt kann Jutta ihre Wut noch immer nicht abschütteln.
Am Haus der deutschen sowjetischen Freundschaft, wo Jutta manchmal als Kellnerin arbeitet, machen die beiden Halt.
Tagsüber ist der Kulturverein eine Art Café, abends eine Tanzbar.
Jutta trifft hier eigentlich immer bekannte oder Freundinnen.
Die beiden gehen hinein, Jutta knallt ihre Handtasche auf einen der Stühle und als könne sie ihrem Frust nicht mehr in sich behalten, schimpft sie laut.
Wenn das so weitergeht, hau ich auch ab.
Zur Erklärung, zwei von Jutta Schwestern sind schon vor nineteenhundertsechzig in den Westen gegangen, als die Mauer noch nicht fertig gebaut und eine Flucht oder Ausreise noch möglich war.
Das war noch bevor Jutta selbst als Jugendlicher aus ihrem Elternhaus geflohen ist.
Wir holen dich rüber, wenn du groß bist.
an die Abschiedsworte ihrer Schwester, denkt Jutta manchmal.
Jetzt ist sie vierundzwanzig, hat einen sechsjährigen Sohn von einem Soldaten der Nationalen Volksarmee, den sie nie wiedergesehen hat und eine vierjährige Tochter von einem anderen Mann, der ebenfalls aus ihrem Leben verschwunden ist.
Jutta denkt nicht an Dauern daran, wie es wäre, die DDR zu verlassen, aber sie tut es an Tagen wie heute, an denen alles zu viel wird.
Nur ein paar Wochen später, am siebten Februar, neunzehntunwarzehnundseventig, wacht Jutta erschrocken auf und blindzelt in die Dunkelheit.
An diesem Montagmorgen ist es nicht ihr Wecker, der sie Vortagesanbruch aus dem Schlaf holt.
Jutta braucht ein bisschen um zu begreifen.
Es ist ein lautes, grobes Pochen.
Jutta ist schlagartig wach.
Sie blickt auf die Uhr.
Es ist sechs.
Sie steht auf und wirft sich ihre Morgenmantel über.
Das Pochen klingt weiter durch die Wohnung und es kommt eindeutig von der Wohnungstür.
Jutta hat eine böse Vorahnung.
Sie reißt die Tür zum Kinderzimmer auf und knips das Deckenlicht an.
René und Katrin schauen sie verwirrt mit zusammengekniffenen Augen an.
Sonst macht ihre Mutter morgens die Tür einen spaltweit auf, damit sich die Kinder sanft an das Licht gewöhnen können.
Und normalerweise dürfen sie auch noch unter der warmen Decke bleiben, bis der Ofen die Wohnung etwas aufgewärmt hat.
Aufstehen, sagt Jutta, viel rupiger als sonst zu ihnen.
Jutta läuft nervös zwischen den Zimmern hin und her, während das Pochen immer lauter und aggressiver wird.
Dann hört sie aus dem Hausflur, machen sie sofort auf.
Es ist eine Männerstimme, die noch hinterher schreit, sonst treten wir die Tür ein.
Jutta holt hektisch Kleidung aus dem Schrank.
Gleich ruft sie.
Ich muss mich nur noch fertig machen.
So ruhig wie möglich versucht sie Katrin klarzumachen, dass sie sich schnell anziehen muss und heute auf gar keinen Fall bummeln darf.
Katrin jammert, denn sie will ihre Hose nicht anziehen.
Die Geräuschkulisse wird lauter.
Jutta's Hand schnellt vor.
Sie gibt ihrer Tochter eine Ohrfeige.
Jutta hatte sich vorgenommen, ihre Kinder nie zu schlagen, so wie ihre Eltern das mit ihr getan haben.
Aber jetzt steht ihre kleine Tochter vor ihr, weint laut und hält sich die rote Wange.
Noch im selben Augenblick überkommt Jutta tiefe Schuld.
Sie drückt Katrin an sich und entschuldigt sich.
Dann steht Jutta auf und stellt sich ihrem Schicksal entgegen.
Vor der Tür im Hausflur steht eine ganze Gruppe Männer in Wintermenteeln.
Es sind vielleicht fünf oder sechs und eine Frau mit Papieren in der Hand.
Die Tür ist noch nicht ganz geöffnet, da packen mehrere Männer Jutta an den Armen und ziehen sie ins Treppenhaus.
Sie drücken sie dort gewaltsam mit dem Rücken gegen die Wand und legen ihr Handschellen an.
Jutta kann nur an eines denken, welche schreckliche Angst Kathrin und René in diesem Moment haben müssen.
Aber sie kann sich nicht wehren oder auch nur ihre Arme nach ihren Kindern ausstrecken, weil sie gefesselt sind.
Sie fleht die Männer an, nehmen sie doch wenigstens Rücksicht auf die Kinder.
René und Katrin rennen beide in dem Moment zu ihr und klammern sich schreiend an Jotas Mantel fest, während die Männer Jutta grob die Treppe herunterschieben.
Jutta wird auf die Straße gezerrt, während ihre Kinder noch immer an ihrem Mantel hängen und sich weigern loszulassen.
Der Himmel ist grau, die Männer bilden eine Art Kreis um Jutta und die an ihr hängenden Kinder.
Jutta spürt die Kälte, als die Männer sie in die Gasse ziehen, die zum Marktplatz führt.
Am Markt stehen zwei Kleintransporter, auf die sie als Gruppe zugehen.
Dann bleiben sie plötzlich stehen.
Einer der Männer sagt in Richtung der Kinder, so, jetzt verabschiedet euch mal von eurer Mutter.
Dann zieht ein anderer die vierjährige Katrin an den Schultern weg von Jutta.
Jutta sieht ihr verzweifeltes Gesicht, hört ihre Tochter aus vollem Leib schreien, während sie selbst in eine offene Autotür geschoben wird.
Was wird jetzt mit ihnen passieren?
Wann wird Jutta sie wiedersehen?
Katrin strampelt sich frei, rennt zu Jutta, klammert sich an ihr Bein, René schlägt unkontrolliert auf das Bein eines der Männer ein, die seine Mutter und ihre Schwester versuchen auseinanderzuziehen.
Jutta hat ihre Kinder noch nie so in Panik gesehen.
Sie würde sie so gern beschützen, weil es das ist, was eine Mutter tut, aber sie kann nicht.
Jutta streichelt mit ihren in Handschuhen gefesselten Händen über Katrin's Kopf.
Sie bemacht und verspricht ab jetzt immer, die kratzende Wollhosen ohne Meckern anzuziehen.
Es ist herzzerreißend, als ob sie schuld sei an der Situation.
Die Männer scheinen kurz inne zu halten.
Das ist der Moment des Abschieds, das weiß Jutta.
Und sie darf ihr nicht verschwenden, bevor er vorbei ist.
Du bist doch ein großes Mädchen, sagt sie ruhig zu Katrin.
Du musst jetzt tapfer sein und mich bitte loslassen.
Ich verspreche dir auch, dass ich heute Abend wieder zu Hause bin.
Lauf mit René zur Oma.
Dann werden Juttas Bein und Kopf in das Auto geschoben, die Tür geschlossen, die Männer steigen in zwei Fahrzeuge und das Auto beginnt zu rollen.
Jutta dreht den Kopf nach hinten.
Sie sieht, wie ihre beiden Kinder und die Frau ihr hinterher sehen, bis das Auto abbiegt.
In dem Moment weiß Jutta, dass sie Katrin gerade angelogen hat, um sie zu beruhigen.
Denn sie weiß gar nicht, wann und ob man sie überhaupt wieder freilassen wird.
Aber sie glaubt nicht, dass es bald sein wird.
Denn in dem Moment, dass es ihr klar ist, sie in den Fokus des Staats geraten.
Und nun spürt sie die Folgen davon.
So und um zu verstehen, was das für Jutta bedeutet, muss man wissen, wie die DDR funktioniert hat.
Die DDR bezeichnete sich zwar selbst als sozialistische Demokratie, war es aber gar nicht.
Sozialismus bedeutete in dem Kontext der Staat, sollte das Eigentum verwalten und für Gerechtigkeit sorgen, im Gegensatz zum Kapitalismus, bei dem der Markt und das Privateigentum im Mittelpunkt stehen.
In der Realität aber war die DDR keine gerechte Gesellschaft und auch keine Demokratie, sondern eine Einparteindiktatur, die auch mit den Mitteln einer solchen gearbeitet hat, um die Bevölkerung zu kontrollieren, nämlich indem sie sie überwachte und kontrollierte.
Und darüber haben wir mit Carsten Laudin gesprochen.
Er ist Professor für Ethik an der evangelischen Hochschule für soziale Arbeit Berlin und Mitbegründer des Deutschen Instituts für Heimeziehungsforschung.
Er sagt, dass ein entscheidender Grund für das, was Jutta da passiert ist, eben überwachungsapparat war.
Denn die DDR hatte einen Geheimdienst, der so mächtig war, dass er selbst im internationalen Vergleich herausstach.
Die DDR hatte einen prozentual zur Bevölkerung extrem großen Geheimdienst, das Ministerium für Staatssicherheit.
Das war wesentlich größer als die Gestapo unter Hitler.
Das war wesentlich größer als das KGB in Moskau.
Prozentual sind wir da ungefähr bei der Größenordnung, die auch Nordkorea hat.
haben, wenn sie etwas als Staatsgefährdend eingestuft haben.
Das heißt in der Folge, dass man nie wusste, wer einen gerade bespitzelt.
Carsten Laudin sagt, diese Möglichkeit jederzeit überwacht zu werden ist das, was die DDR in seinen Augen zu einem totalitären Staat gemacht hat.
Es durfte keinen Raum geben, indem man davon geschützt war, abgehört worden zu sein von der Staatssicherheit.
Das ist das Totalitäre.
Vom Anspruch her wollte sie alle Bürger in Grunde bis hinter die Bettecke überwachen.
Und das ist in einem Ausmaß gelungen, wie es in keinem anderen Land der Welt jemals vorher möglich war.
Und deshalb ist es eben jetzt nicht so, dass wenn man im Café was sagt, dass das Automat von Strasse gelangte.
Aber die Wahrscheinlichkeit, dass es dahin gelangte, war nicht gering.
Und das gilt auch für die Sachen, die Jutta vor dem Kindergarten in den Gassen der Innenstadt und im Café gerufen hat.
Also, wenn das hier so weitergeht, dann hau ich ab.
Jetzt kann man sich ja denken, okay, das soll jetzt staatsgefährdend sein, ja.
Genau das ist das Problem, denn was genau als Staatsgefährden galt, war nicht genau festgelegt, sondern Auslegungssache.
Das besonders einschüchternde, sagt Laudin, war genau diese Unberechenbarkeit.
Das heißt, dass Wesen einer Diktatur ist, dass sie offen lässt, wann sie zugreift.
So dass in Grunde eine latente Unsicherheit immer besteht, für alle besteht.
Du weißt nie genau, was du wirklich sagen darfst.
Das ist eben diese graue Zone, dessen was prinzipiell unberechenbar blieb.
was die Leute, glaube ich, krank gemacht hat und was sie einfach nicht wussten, sich verhalten haben.
Im Fall von Jutta kann also eine Bekannte, ein Arbeitskollege, eine Freundin oder irgendjemand anders, der sie gehört hat, etwas an die Staatssicherheit gemeldet haben.
Jutta's kleine Tochter, Kathrin, hat von all dem an jenem Wintertag, neunzehntunhundertzeig, natürlich keine Ahnung.
Sie hat Angst und ist völlig ratlos, als sie am Marktplatz in Gera steht und sieht, wie das Gesicht ihrer Mama in der Heckscheibe immer kleiner wird, bis der Einsatzwagen abbiegt.
Sie interessiert nur eins, kommt Mama wirklich bald wieder, wie sie gesagt hat?
Katrin rennt die Tränen über das Gesicht.
Als sie zu ihrem Bruder herüber schaut, weint er nicht.
Er steht nur wie angewurzelt da und start in die Richtung, in die ihre Mutter vor wenigen Sekunden verschwunden ist.
Die Frau, die mit ihnen dageblieben ist, nimmt Katrin an die Hand.
Gemeinsam gehen sie einen kurzen Weg über den Marktplatz.
Die Frau klingelt an einer vertrauten Tür und Katrins Oma macht auf.
Katrin rennt an ihr vorbei, in die Wohnung und kauert sich auf einem Sessel zusammen.
Nachdem die Erwachsenen geredet haben und die Frau weg ist, frag Katrin ihre Oma, wann kommt Mama nach Hause?
Die Oma antwortet, das dauert nicht lange, bis sehen, die kommt schon bald wieder.
Das tröstet Katrin nur so halb.
Wie die Männer ihre Mutter gewaltsam abgeführt haben, halt noch immer nach.
Den ganzen Tag bleibt sie auf dem Sessel, will nichts essen und mit niemandem reden.
Sie weint und heucht aufmerksam nach irgendeinem Geräusch, das ankündigt, dass ihre Mama wieder kommt.
Dabei denkt sie nach, wo ist ihre Mama hin?
Und warum kommt sie nicht zurück?
Sie will endlich von ihr abgeholt und aus diesem Albtraum befreit werden.
Sie wird das alles wieder normal ist.
Irgendwann an diesem Tag schläft Katrin erschöpft ein.
Wenn Katrin ihre Oma in den folgenden Tagen nach ihrer Mama fragt, sind die Antworten beschwichtigend, aber sie reichen ihr nicht.
Schon der kleinen Katrin kommt es so vor, als würde ihre Oma ihr etwas nicht sagen wollen.
Katrin und ihr Bruder Rene sind etwa eine Woche bei ihr, als sie plötzlich sagt, wir gehen in die Stadt.
Die Oma bringt die beiden aber nicht zum Einkaufen oder zum Eisessen wie sonst bei einem Stadtbummel, sondern in einen Teil von Gera, den Katrin nicht kennt.
Gemeinsam betreten sie eine Bürgervilla mit Lenoliumboden und einem großen Kronleuchter in der Eingangshalle.
Dort werden Katrin und René von unzähligen Kindern begrüßt.
Das muss der neue Kindergarten sein, denkt sich Katrin.
Die Oma spricht mit einer Betreuerin im Foyer, während die anderen Kinder Katrin mit zum Spielen im Hof mitnehmen.
Beim herumtollen vergisst Katrin ihre Oma kurz, bis sie sich fragt, wo sie ist.
Als sie sich nach ihr auf die Suche macht, findet sie sie nicht mehr.
Erst mal findet sie das nicht komisch, denn im Kindergarten ist sie ja sonst auch tagsüber allein, bis sie wieder abgeholt wird.
Trotzdem hat Katrin ein mulmiges Gefühl, dass schlagartig stärker wird, als es dunkel wird und die Oma noch immer nicht zurück ist.
Als sie dann auch noch in die obere Etage in einen Schlafsaal gebracht wird, steigt echte Angst in der vierjährigen auf.
Katrin verkriecht sich unter ihre Decke und kann kaum zuhören, als eine gute Nachtgeschichte vorgelesen wird.
Sie muss weinen, aber wenigstens ist René bei ihr.
Der steift im Bettchen neben ihr.
Das gibt ihr ein bisschen Halt in der völlig fremden Umgebung, ohne die Erwachsenen in ihrem Leben.
Die Oma kommt auch am nächsten Tag nicht wieder und auch am Tag darauf nicht.
Katrin weiß nicht mehr, was stimmt und was nicht.
Die Erwachsenen beantworten ihre vielen drängenden Fragen nicht.
Und die anderen Kinder ärgern sie.
Sie sind alle gleich angezogen und wohnen hier, weil sie keine Familien haben.
Deswegen weiß Katrin auch nicht, was sie hier soll.
Sie hat ja immer eine, und ihre Mama und ihre Oma werden sie sicherlich auch bald abholen.
Deine Mama kommt nicht mehr zurück, sagen manche der anderen, um Katrin zu hänseln.
Dann stellt sich René vor seine kleine Schwester und verteidigt sie.
Wie gut, dass sie René ihren Beschützer hat.
Nur ein paar Tage nachdem die Oma plötzlich verschwunden ist, wird Katrin in das Büro der Heimleiterin gerufen.
Unter den wachsamen Augen von Erich Honecker, dessen Bild an der Wand hängt, fordert die Heimleiterin Katrin auf, das Ältere ehepaarartig zu begrüßen, das offenbar auf sie wartet.
Katrin soll ihre sieben Sachen packen und mit den Gasteltern mitgehen.
Kommt denn René auch mit, fragt sie?
Der bleibt erstmal hier und Katrin soll er erstmal schauen, wie es ihr dort gefallen.
Und so muss Katrin ihre Sachen packen und mit den beiden Fremden in ihr neues Zuhause.
Nur ist das kein Zuhause, wie Katrin es kennt.
Sie leben in einer sutteren Wohnung im Gebäude einer Schule.
Dort ist es kalt, es stinkt und es ist ungemütlich.
Und auch die beiden strahlen keine Wärme aus.
Das Paar redet kaum ein Wort mit Katrin.
Katrin hält es dort nicht länger als eine Nacht aus und fordert sie am nächsten Tag auf, sie wieder ins Heim zu bringen, was sie auch machen.
Sie ist erleichtert, denn es war offenbar ja nur ein kurzer Aufenthalt.
Als sie vorfreudig wieder im Heim ankommt, öffnet Katrin die Autotür, steigt aus und rennt sofort aus dem Auto, ohne sich richtig zu verabschieden.
Sie läuft die Treppen hoch zu den Schlafräumen, um René zu suchen.
Sie ruft nach ihm, hallo, ich bin wieder da.
Doch oben in den Schlafräumen ist er nicht.
Sie sucht René im Hof, im gesamten Erdgeschoss in den Bädern und in den Aufenthaltsräumen.
Doch René ist nirgendwo zu finden.
Ein schrecklicher Verdacht macht sich in Katrin bereit.
Als sie die Erzieherin fragt, wo René ist, antworten die nur ausweichend, weiß ich nicht, hab ich gerade nicht gesehen oder der taucht schon wieder auf.
Aber Katrin glaubt das nicht.
Für er glaubt sie, dass auch das letzte Familienmitglied, das sie noch hatte, sie nun verlassen hat.
Katrin ist noch klein und weil es ihr niemand erklärt, kommt sie nicht auf den Gedanken, dass René womöglich genau wie sie am Vortag gegen sein will aus dem Heim geholt wurde.
Sie denkt, es muss ihre Schuld sein, dass sie alle verlassen haben.
Sonst würden sich ihre Mama und ihre Oma doch mehr Mühe geben, Katrin zu sich zurückzuholen, wenn sie sie wirklich lieben würden.
Ab da kehrt Katrin immer mehr in sich.
Sie nimmt nicht an Spielen und Sportübungen teil.
Die meiste Zeit verkriegt sie sich im Treppenhaus in einem Vorsprung, immer noch in der Hoffnung, dass ihre Mama sie bald abholt und dieser Albtraum hier bald vorbei ist.
Es vergehen Wochen und Monate.
An einem Tag nach einer gefühlten Ewigkeit im Heim steht mal wieder Ton an.
Katrin hasst das.
Eine Erzieherin, die oft grob zu Katrin ist, versucht sie dazu zu bringen, auf den Balken zu balancieren.
Komm, Katrin, du bist doch kein Krabbelkind mehr.
Aber Katrin weigert sich.
Sie sagt, meine Mama holt mich hier eh bald ab, da muss ich sowas auch nicht mehr machen.
Die Erzieherin lacht und entgegnet, deine Mutter kommt bestimmt nicht mehr.
Plötzlich fangen die anderen Kinder an zu kichern.
Dann sagt die Erzieherin, sie ist eine Staatsverräterin und das hat sie jetzt davon.
Katrin versteht das Wort nicht, aber es trifft sie trotzdem ins Herz, weil sie weiß, dass die Erzieherin etwas Böses über ihre Mutter gesagt hat.
Katrin rennt davon und versteckt sich wieder in ihrer Kuhle im Treppenhaus.
Ihre Mama soll eine schlechte Person sein.
Sie erinnert sich, dass ihre Mama immer so lieb zu ihr war.
Wie soll sie etwas so Schlimmes getan haben, dass sie jetzt nie wieder zurückkommen darf?
Ja, und es ist natürlich nicht so, wie wir eben schon gehört haben, dass man in der DDR besonders schlimme Dinge getan haben muss, um als Staatsverräter oder Staatsverräterin zu gelten.
Da sind wir wieder bei dieser Unvorhersehbarkeit von der Ethik-Professor Carsten Laudin vorhin gesprochen hat.
Bei Jutta mag es möglicherweise schon allein ihre Verwandtschaft gewesen sein und dass sie hin und wieder davon gesprochen hat, in den Westen gehen zu wollen.
Das sind aber nicht die einzigen Möglichkeiten, wie man in den Fokus der Stasi rücken konnte, sagt Laudin.
Arbeitsbummelai, also soziales Verhalten, das sind noch Vokabeln, die es im DDR-Strafe-Rechte gab.
Sogenannte asocialen Paragraf-DDR-Strafgesetzbuch, Paragraf twohundesschürzig, war bis neunundachtig in Geltung.
Und die Charakteristik dieses Paragrafen war eben, dass es nicht festgelegt worden ist, was asocial ist.
Und da war eben der staatlichen Willkür ein großes Feld überlassen.
Das Ding ist nur A-Sozial.
In Anfangszeichen konnte quasi jede Person sein, die nicht in das gewünschte Bild von sozialistischen Bürgerinnen passte.
Arbeitslos zu sein oder alleine erziehen konnte dazu gehören.
Aber auch bestimmte Klamotten zu tragen, wie Jeans zum Beispiel, weil die damals lange Zeit als Import der Popkultur aus den USA galten und damit als Ausdruck kapitalistischer Verführungen.
Das finde ich ehrlicherweise gar nicht so schlecht.
Ich finde, dass Jeans verboten gehören, aber gar nicht aus ideologischen Gründen, sondern weil das für mich ein Text-Zieler-Bergegriff ist.
Eine Art Zwangsjacke am Bauch.
Also auch Freigeister hatten schwer.
Also damit meine ich Menschen, die eigene Lebensentwürfe hatten, die nicht in das staatliche Raster passten.
Denn die DDR wollte ja kollektiv denkende Bürgerinnen und keine Individualistinnen.
Die wurden als Gefahr für die staatliche Ordnung gesehen.
Karsten Laudin hat Fälle politischer Verfolgter in der DDR in seiner Forschung ausgewertet, dabei festgestellt, dass tatsächlich nur wenige von ihnen wirklich Oppositionelle mit klarer Haltung gegen die DDR waren, sondern meist kamen verschiedene Faktoren zusammen, problematisches Elternhaus oder wenn man zu viel Kontakt in den Westen hatte oder halt auch eben das Äußerliche.
Und wenn dann noch so ein Hauch von politischer Opposition dazu kam, dass der Vater mal in der Betrieb gemäckert hat, dieser Plan ist doch bloß Fiktion, wir schaffen das doch sowieso nicht oder was auch immer, dann plötzlich hat man gesagt, es ist ja nicht nur so, dass die soziale Probleme haben, die sind ja auch noch auf dem Pfiff und die sind unser gegen unseren Staat.
und das jetzt wollen wir mal zeigen, wer hier am längeren Hebel sitzt.
Und wir finden hier auch klare Parallelen zu Jutta Katrins Mutter, die damals keine Berufsausbildung hat, selbst früh von zu Hause weggelaufen ist, sich mit Gelegenheitsjobs durchgeschlagen und zwei Kinder von zwei verschiedenen Männern hat.
Schwestern hat die schon republikflüchtig waren und gewalttätige Eltern noch dazu.
Claudine sagt, das plus kritische Äußerungen, das kann schon dazu führen, dass man dann als feindlich negative Kraft eingestuft wurde.
Und da hat man in allen Leuten, die da nicht reinpassen wollten, zunächst erst mal mit dem Vorwurf konfrontiert, das hier gegen uns seid.
Und gegen den Sozialismus.
sein war im Sozialismus ein sehr schweres Verbrechen, weil man im Grunde damit gesagt hat, du bist gegen die Entwicklung zum Guten, zum Besseren, zum Besten.
Und wer will das schon sein?
Im Frühjahr dekmal ist Katrin bereits ein Jahr lang im Kinderheim.
Sie musste ihren ersten Geburtstag feiern, ohne Mama Jutta, ihre Oma oder ihren Bruder René.
Dass sie sie auch noch an einem so wichtigen Tag alleine lassen, lässt viele Fragen in Katrin aufkommen.
Wo sind ihre Mama und die anderen?
Wieso kommt die Mama nicht wieder, obwohl sie es doch versprochen hat?
Liegt es daran, dass sie Katrin in Wirklichkeit nie haben wollte und nun froh ist sie los zu sein.
Nichts macht Katrin trauriger als dieser Gedanke.
Während des letzten Jahres im Heim kam noch mal jemand, der Katrin mit zu sich nach Hause genommen hat.
Eine junge Ärztin.
Doch Katrin hat sich auch bei ihr nicht zu Hause gefühlt.
Nach ein paar Monaten wurde Katrin zurück ins Heim gegeben.
Offenbar war sie zu schwierig, nicht das, was die junge Frau sich vorgestellt hat.
Katrin hat inzwischen mitbekommen, dass sie adoptiert werden soll.
Und dass es schlecht für sie ist, wenn sie wieder zurück ins Heim gebracht wird.
Weil das wieder heißt, dass sie keiner haben will.
Aber das nochmal jemand kommt, um sie mitzunehmen.
Daran glaubt Katrin schon nicht mehr.
Doch dann eines Tages steht plötzlich eine Person vor ihr, mit der sie nicht mehr gerechnet hat.
Sie braucht eine Weile, um sie wieder zu erkennen.
Es ist ihre Oma, nur ist sie irgendwie anders, so seltsam distanziert.
Beim Spaziergang durch den Park spricht sie kaum und wirkt verschlossen.
Katrin hofft, dass sie sie nun mitnehmen wird, doch am Ende macht die Oma unmissverständlich klar, sie kann Katrin nicht bei sich aufnehmen.
Für Katrin ist das ein Schock.
Doch es kommt noch dicker.
Kurz bevor die Oma sie an diesem Tag wieder verlässt, sagt sie, dass sie auch ihre Mama und Renée nie wiedersehen wird.
Deswegen soll sie unbedingt mit der nächsten Familie mitgehen.
Sonst würde sie für immer im Heim bleiben.
Als Katrin im Winter, neunzehnhundertundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundund.
Dann, ein paar Tage vor Weihnachten, wird Katrin noch mal ins Büro der Heimleiterin geschickt.
Im Büro sitzen ein Mann und eine Frau.
Die Frau wirkt auf Katrin elegant und selbstbewusst, der Mann einfach wie ein Netter.
Freundlich fragt er, na Katrin, kommst du mit zu uns?
Die Heimleiterin gräht statt zwischen.
Das hier ist deine letzte Chance.
Katrin weiß, dass sie es schon zweimal verbockt hat, diesmal darf sie es nicht versauen.
Katrin lächelt und nickt.
Die Heimleiterin wendet sich an die Frau, die sie Genossen nennt.
Wenn jemand Katrin zu greifen kriegt, dann bist du das Ingrid.
Nur zehn Minuten hat Katrin um ihre wenigen Besitztümer, die noch aus ihrem alten Leben übrig sind und das immer verschwommener wird, in ihren kleinen Kinderkoffer zu packen.
Dann verlässt sie stolz mit je einem Erwachsenen an der Hand das Heim.
Nur eine Viertelstunde sitzt Katrin im Trabant ihrer fremden neuen Eltern, dann steigt sie aus.
Katrin sieht ein Haus, das sie sofort begeistert.
Rotes Ziegeldach idyllisch an einem Hang vor einem Wald gebaut, mit allen möglichen Bäumen im Garten und einer Schaukel.
Das Haus ist größer und schöner, als jede Wohnung in der Kathrin je war.
Die beiden Fremden führen sie in die Küche und stellen Kathrin eine ältere Dame vor.
Ihre neue Oma streichelt ihr über den Kopf.
Kathrin fühlt sich sofort willkommen.
Gemeinsam setzen sie sich an den gedeckten Tisch.
Ihr neuer Fahrt, die holt ein paar Kissen, damit Katrin etwas höher sitzen kann.
Denn essen sie leckeren Eintopf und es gibt sogar Kompott zum Nachtisch.
Die Vanillesoße, die es dazu gibt, nennen die Erwachsenen auch Spaßfamiliensoße.
Für Katrin ist zwar alles neu, nichts fühlt sich wirklich nach zu Hause an, aber sie kann sich vorstellen, dass sie bei dieser Familie bleiben kann.
Angst hat sie keine und zurück ins Heim möchte sie definitiv nicht.
Es fühlt sich sogar ein bisschen so an, als würde sie dazugehören.
Später bezieht Katrin den Vorraum des Dachzimmers, in dem die neue Oma wohnt.
Das gefällt Katrin, die Nähe zu der älteren Dame beruhigt sie und hilft ihr, an diesem Abend in neuer Umgebung einzuschlafen.
An den Tagen vor Weihnachten verbringt Katrin's neue Familie damit, Lebkuchen zu backen und einzukaufen.
Katrin darf sogar dabei helfen, den Weihnachtsbaum mit Lametta und Schokoladenfiguren zu schmücken.
Katrin's neue Mutti lobt sie sogar.
Katrin, das hast du prima gemacht.
Und unter dem Weihnachtsbaum liegt ein paar Tage später ein Teddy, der nur Katrin gehören soll.
Im Heim musste sie immer alles teilen.
Und Katrin, die die letzten Jahre gefühlsmäßig nahezu taub geworden ist, fühlt jetzt wieder etwas, als würde eine Last von ihr abfallen.
Denn Katrin muss sich hier nicht anstrengen, um sich den Platz in einer Familie zu bewahren.
Im Frühjahr, nachdem sich Katrin schon etwas eingewöhnt hat, kommt sie in den Kindergarten.
Als ihre neue Mutti Ingrid sie dort abliefert und wegfährt, wird Katrin bange.
So oft hat man sie einfach irgendwo an einem fremden Ort zurückgelassen.
Doch diesmal bleibt ihre Angst unbegründet.
Die Frau, die jetzt ihre neue Mutti ist, tut sie jeden Tag pünktlich wieder dort ab.
Katrin hat im Grunde alles, was sie braucht.
Jemanden, auf denen sie sich verlassen kann und ein schönes neues Zuhause und neue Eltern, die mit ihr nicht überfordert sind.
Und trotzdem fehlt Katrin etwas.
Ihre neue Mutti ist keine besonders warme Person.
Sie kuschelt nicht mit Katrin.
Ihr ist es vor allem wichtig, dass Katrin gute Manieren zeigt und sie bloß nicht vor der Nachbarschaft beschämt.
Die neue Mutti ist kühl und streng.
Zwar ist der neue Fahrt die umgänglicher und auch unternehmungslustig, aber Katrin sehnt sich nach mehr Zuneigung von der Frau, die die Rolle ihrer Mutter einnehmen soll.
An die gehen die Erinnerungen der Weile immer mehr verloren.
Auch wenn Katrin versucht, sie ganz festzuhalten, das Gesicht ihrer Mama verschwimmt immer mehr in der Vergangenheit.
Und an manchen Tagen denkt sie gar nicht mehr an sie.
Im Herbst hier wird Kathrin mit sechs Jahren eingeschult.
Dort an der Schule ist ihre neue Mutti-Lehrerin für Russisch.
Doch das ist nicht ihr einziger Job.
Sie ist auch Parteisekriterin der sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, der SED, wofür sie spät abends zu Hause weiterarbeitet.
Katrin fühlt sich wohl in der Schule, sie wird jetzt anders behandelt als im Kinderheim.
Schließlich ist sie jetzt nicht mehr die Tochter einer Staatsverräterin, sondern von einer angesehenen Parteisekriterin.
Katrin trägt stolz das Blaue Heizzug der Jung-Pionier-Innen.
Als solche lernt Katrin Rechnen und Schreiben, aber vor allem lernt sie, wie ihre Welt zu funktionieren hat.
Sie soll hilfsbereit sein, eigene Wünsche zurückstellen und fest daran glauben, dass die DDR ein Land ist, in dem alle Menschen gleich sind und der Sozialismus Frieden bringt.
So wächst Katrin hinein in ein System, das sich selbst huldigt und seine Widersprüche gut zu verstecken weiß.
Denn was Katrin in dieser Zeit nicht lernt ist, dass die Ideologien, die sie verinnerlichen soll, am Ende dazu geführt haben, dass sie ihrer eigentlichen Familie gewaltsam entrissen wurde.
Ja, und Erziehung hatte in der DDR eine besondere Bedeutung, erklärt Prof.
Carsten Laudin von der Evangelischen Hochschule Berlin.
Der Staat wollte einen neuen Menschentypform, eine sozialistische Persönlichkeit, selbstlos, kollektivorientiert und antifaschistisch.
Und um das zu erreichen, fand Erziehung eben nicht nur in Schulen oder Kindergärten statt, sondern auch in Jugendorganisationen und sogar in Betrieben, also überall dort, wo man Menschen in Gruppen ideologisch beeinflussen konnte.
Eine Gruppe jedoch entglitt dieser Kontrolle weitgehend und galt deswegen auch als Risiko, und zwar die Familien.
Es ist eine ambivalente Thematik, denn auf der einen Seite ist man davon ausgegangen, dass die Familie die sogenannte Keimzelle des Staates ist und man reproduziert sich die Menschheit ganz praktisch durch das Kinderzeugen.
Und natürlich war es auch klar, dass ohne Eltern und Kinder nicht aufwachsen können.
Auf der anderen Seite hielt man die Familie immer für das eigentliche Fortfanzungsproblem der sozialen Ungerechtigkeit.
Weil man nämlich sagte, die Kinder kommen ja gar nicht gleich auf die Welt.
Sie kommen ja familiär geprägt auf die Welt.
Die Familie ist eigentlich immer mit der Gefahr behaftet.
Eigeninteressen vor Gemeinschaftsinteressen zu stellen.
Nach dem Familienrecht der DDR sollten Eltern ihre Kinder zu Menschen erziehen, die fest im sozialistischen Weltbild verankert sind.
Dazu gehörte zum Beispiel auch, dass sie im Ernstfall bereit sein mussten, das Land auch bewaffnet zu verteidigen.
Wenn Eltern aus Sicht des Staates diese Anforderung nicht erfüllten oder ihnen sogar zu widerhandelten und damit ihre Kinder falsch prägten, in Anführungszeichen ja, konnte der Staat eingreifen und ihnen das Sorgerecht entziehen.
Das darf man jetzt nicht so vorstellen, dass Ratspazter, die Kinder alle weggenommen wurden, sind, aber es ist ein signifikant hoher Anteil von Kindern in staatlichen Erziehungseinrichtungen gelandet, der nach damaligen und nach heutigen Verständnis nicht so hoch nötig gewesen wäre, gerade weil man eben unterstellte, die Familien kochen ihre eigenen Suppen und sind im Grunde selber Gegenstand von Pädagogikern, so sind nicht selber furchtkindergut zu erziehen.
Ihre neue DDR-Vorzeigefamilie fährt mit Katrin in den Ferien in den Skiurlaub an die Ostsee oder zu Verwandten in beeindruckenden Willen in Siedlungen, wo auch wichtige DDR-Politikerinnen wohnen, wie Katrin erklärt wird.
Ein Onkel ihrer neuen Mutti ist nämlich ein wichtiger Offizier der Staatssicherheit.
Einmal im Winterurlaub bringt ihr neuer Fatih Katrin das Skifahren bei und hält sie fest, während sie zusammen den Hang hinuntersausen.
Angst hat sie dabei keine, denn sie weiß, ihr neuer Fatih passt auf sie auf.
Die beiden erleben zusammen Abenteuer und verausgaben sich, denn zu Hause bei Mutti muss man still sitzen und sich benehmen.
Bei ihrem Fati fühlt sich Kathrin Geborgen und sich ja besonders, wenn er ihr nach dem Toben im Schnee die kalten Füße mit seinen großen Händen wärmt.
Endlich läuft alles gut in Katrin's Leben.
Ihre neue Mutti ist zwar streng und bevormundend, aber das ist nichts gegen all die Dinge, die sich in ihrem Leben seit dem Heim verbessert haben.
Und so vergehen die ersten Jahre in.
Katrin Wächst hinein in die Rolle, die der Staat für sie vorgesehen hat.
Ein Mädchen, das die Werte der DDR verinnerlicht und fest davon überzeugt ist, dass die Welt, in der es lebt, die einzig richtige sein muss.
Doch schon bald wird etwas passieren, dass ihr gesamtes neu gefundenes Glück wieder zerschlägt.
Und Katrin, die Welt, in der sie lebt, beginnt zu hinterfragen.
In den letzten Jahren, als Katrin zehn Jahre alt ist, rufen ihre Adoptiveltern sie zu sich.
Sie wollen Neuigkeiten mit ihr teilen, über die sie selbst völlig aus dem Häuschen zu sein scheint.
Katrins Mutti ist schwanger.
Jahrelang haben sich die Eltern eigenen Nachwuchs gewünscht und schon nicht mehr dran geglaubt.
Im Sommer hier kommt Katrin's kleiner Bruder zur Welt.
Katrin freut sich über den neuen Bruder, aber sie hat auch Angst, davor jetzt überflüssig zu werden, wo der Wunsch von da ist.
Und ihre Angst, so erfährt sie es schon bald, ist nicht umbegründet.
Vorher war Katrin's Adoptiv Mutti bevormundend oft abweisend.
Aber jetzt, wo das zweite Kind da ist, soll Katrin auch immer mehr im Haushalt machen.
Nach ihrem Baby-Jahr, so nennt man die Elternzeit umgangssprachlich in der DDR damals, kehrt die Mutti wieder zurück zur Arbeit.
Katrin muss jetzt ihren kleinen Bruder morgens wickeln und in die Krippe bringen.
Wenn sie ihn nach der Schule aus der Krippe abholt, putzt sie das Haus, deckt den Tisch und macht die Wäsche und räumt auf.
Erst kümmert sich die Mutti noch um das Essen, aber immer mehr Aufgaben wandern in Katrins Verantwortung.
Katrin merkt auch, dass es nicht mehr sie ist, die Verbekannten in der Fußgängerzone gelobt wird, zum Beispiel, weil sie sich besonders zugenthaft verhalten hat, sondern meist geht es jetzt nur noch um den großen Stolz der Familie, ihren kleinen Bruder.
Katrin fühlt sich immer mehr wie das Aschenputtel, das nur geduldet wird, solange es Aufgaben im Haus verrichtet.
Die Doppelbelastung wirkt sich schnell auf ihre Schulnoten aus.
Katrin ist oft zu müde zum Lernen, wenn sie mit dem Haushalt fertig ist.
Zu rebellieren traut sie sich aber nicht.
Sie weiß, dass sie damals zurück ins Heim musste, weil sie als schwieriges oder aufmüpfiges Kind bezeichnet wurde.
Kathrin erwischt sich nun öfter bei dem Gedanken, dass sie sich ihren Platz in der Familie jeden Tag aufs Neue verdienen muss.
Wenn sie nicht mehr gefällt, könnte sie jederzeit verstoßen werden.
Als Kathrin in diesem Jahr und am Weihnachtsbaum das Geschenkpapier zerreißt, kommt darunter zum Vorschein, was ihre Eltern für sie ausgesucht haben.
Ein Buch.
Christa, heißt es.
Es geht um ein Mädchen, das adoptiert ist und das sich auf die Suche nach ihren leiblichen Eltern macht.
Am Ende lernt das Mädchen im Buch auf die harte Tour dankbar für ihre Adoptiveltern zu sein, denn sie findet nicht das, was sie sucht, nämlich eine verstorbene Mutter und einen schrecklichen Vater.
Wahrscheinlich hat ihr die neue Mutti wegen dieser Moral das Buch geschenkt, den Katrin, aber in ihr löst es etwas anderes aus.
Sehen sucht.
Ganz tief in ihr drin sind Erinnerungen verschüttet, das merkt Katrin.
Und weil ihr im Leben vor allem seitdem der kleine Bruder da ist, die Zuneigung fehlt, wird die leibliche Mama, an die sie sich schon fast gar nicht mehr erinnern kann, zur besseren Mutter.
Eine, die liebevoller und einfühlsammer ist als ihre Adoptiv-Mutter.
Zu ihrem Adoptivvater hat Katrin zwar ein innigeres Verhältnis, aber er hält sich immer zurück, wenn es Ärger gibt.
Manchmal scheint er Katrin auf stille Art und Weise zu unterstützen, wenn die Mutti mal wieder schünft.
Ganz subtil nickt oder blindselt er Katrin dann zu.
Und wenn sie und ihr Fahrt die Ausflüge in die Natur machen, hat Katrin den Eindruck, auch er braucht dringend diese Zeit weg von der Mutti.
Die Gedanken an ihre leibliche Mutter lassen Katrin nicht los.
Sie merkt, dass sie Antworten braucht.
Mit zwölf fasst sie sich ein Herz und fragt die Mutti auf dem Heimweg von der Schule zum ersten Mal, was aus ihrer richtigen Mutter geworden ist.
Ihre Frage löst eine unangenehme Stille aus.
Ihre Mutti schaut weg.
Fast als fühle sie sich ertappt.
Schließlich sagt sie, Katrins Mutter sei lieber ausgegangen, als bei ihren Kindern zu sein und habe häufig Männerbesuch gehabt.
Deshalb seien Katrin und ihr Bruder damals ins Heim gekommen.
Katrin weiß nicht, was sie mit diesen Informationen anfangen soll, aber das liebevolle Bild ihrer Mutter zerbricht dadurch nicht.
Nur die Vorstellung, dass ihre Mutter sie verlassen und nie gesucht hat, tut weh.
Als die Luft im Winter neunundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundund.
Nachdem Katrin nach ihrer leiblichen Mutter gefragt hat, redet ihre Mutti kaum noch mit ihr.
Das frostige Schweigen breitet sich im ganzen Haus aus, kriegt in jede Ecke und lässt keinen Raum mehr warm werden.
Für Katrin führt es sich so an, als wäre sie plötzlich wieder auf dünnem Eis unterwegs.
Als sei ihr verbleibt zu Hause, jetzt unsicher und sie hier unerwünscht.
Ein paar Tage später, ob so wird Katrin wie jeden Tag ihr ausgedehntes Putzprogramm, als sie fertig ist und sich gerade vor den Fernseher setzt, fährt ihre Mutti sie an.
Kannst du denn nicht auch mal von dir aus fragen, ob es noch was zu erledigen gibt, bevor du dich hier niederlässt?
Katrin führt sich in diesem Augenblick so allein und umgelebt, dass sie ohne ein weiteres Wort die Treppe hoch in die erste Etage rennt und sich im Badezimmer einschließt.
Sie bricht dort auf dem Boden Schluchzen zusammen.
Der Kommentar ihrer Mutti ist für sie die Krönung von der feindlichen Stimmung, die Katrin jetzt schon seit einer Weile spürt.
In ihrem Schmerz kommt ihr ein Gedanke.
Für ihre Eltern scheint sie als Tochter gestorben zu sein, dann will sie auch nicht mehr leben.
Katrin kramt im Badezimmer, greift nach einem Zahnputzbecher und mischt darin verschiedene Putzmittel mit Rohr und Toilettenreiniger, die sie im Schrank findet.
Dann führt die zwölfjährige den Becher mit der beißend riechenden Flüssigkeit an ihren Mund und schließt die Augen.
Die ätzenden Dämmen versteigen ihr in die Nase.
Ihr wird schlecht.
Sie schafft es nicht, die Flüssigkeit zu trinken, um ihrem Leben ein Ende zu bereiten.
Stattdessen verlässt sie das Badezimmer, zieht ihren Wintermantel an und verlässt das Haus.
Dann wird sie stundenlang durch die Kälte.
Als sie eine Eisenbahnbrücke erreicht, umfasst sie das gefrorene Geländer und schaut herab.
Sie überlegt, ob sie springen soll, aber was, wenn sie den Sturz am Ende überlebt, wenn sie dann unten legt und schreckliche Schmerzen hat.
Dieser Gedanke bringt sie letztendlich davon, ab ihr Leben zu beenden.
Dass sie mit zwölf Jahren überhaupt an diesen Punkt steht, zeigt, wie verzweifelt Katrin ist.
In einem Alter, in dem andere über Freundschaften, Schule oder Hobbys nachdenken, sucht sie nach einem Ausweg aus einer Welt, die sich gegen sie richtet.
An diesem Tag fühlt sich Katrin so leer und verlassen wie noch nie.
Katrins Verhältnis zu ihrer Mutti bleibt in den Jahren danach distanziert.
Über den Streit wird in der Familie nie wieder gesprochen.
Aber dieser Tag hat etwas zerbrochen, was ohnehin schon fragil war.
Eine vertraute Beziehung zwischen Katrin und ihrer Mutti.
Zwischen ihnen liegt nun ein Abstand, der sich tief wie ein unüberwindbarer Abgrund anfühlt.
Während Kathrin älter wird und ein Schuljahr nach dem anderen hinter sich lässt und später eine Ausbildung zur Erzieherin beginnt, wächst in ihr nur ein Wunsch, raus aus dem Elternhaus und ein eigenes Leben aufbauen, über das sie selbst entscheiden kann.
Ihr Zuhause fühlt sich für sie längst an wie ein Gefängnis.
Die Chance, diese Sehnsucht endlich in die Wirklichkeit zu bringen, begegnet ihr in fournachtzig.
Kathrin ist siebzehn, als sie Jörg kennenlernt, ein Mann, der fünf Jahre älter ist.
Auf den Leserbriefseiten in der Armee Rundschau hatte Katrin die Frage gestellt, was würdest du machen und sagen, wenn deine Freundin, Verlobte oder Frau den Wunsch hätte zur Nationalen Volksarmee zu gehen?
Und Jörg antwortet ihr, ich würde es begrüßen.
Aus dem Briefwechsel wird ein Hin und Her dann ein erstes Treffen.
Nach ein paar Dates merkt Katrin ihn wirklich, aber sie sieht in ihm auch etwas anderes.
Er ist ihr Weg raus aus Gera und aus ihrem Elternhaus, das sich längst nicht mehr nach zu Hause anfühlt.
Im November neunzehntunhundertzech heiraten sie und ziehen nach Bins auf Rügen, wo Jörg als Offizier arbeitet.
Weiter weg von Gera geht es in der DDR kaum.
Als Katrin ihre Sachen aus dem Elternhaus holt, ist sie allein.
Die Familie will für ihren Abschied den Urlaub nicht unterbrechen.
Irgendwie bezeichnend, denkt sich Katrin, dort diesen bedeutenden Moment allein zu erleben.
Sie schließt die Tür hinter sich und spürt, wie etwas von ihr abfällt.
Im Binns angekommen, öffnet sie die Tür zu ihrer neuen Zweizimmerwohnung und fühlt sich zum ersten Mal frei.
Endlich kann das Leben beginnen, denkt sie.
Doch kaum ist dieser erste Zauber verflogen, wird ihr klar, ganz so einfach ist es nicht.
Im Binns fühlt sie sich schnell isoliert.
Im Gegensatz zum Anfang ihrer Beziehung ist ihr Ehemann nicht besonders liebevoll und sehr verschlossen.
In den nächsten Monaten hält sie zu ihrer Adoptiv-Familie nur sporadisch Kontakt.
Für die seltenen Telefonate geht Katrin alle paar Wochen zum Münst-Telefon am Bahnhof, aber es ist nicht so, dass sie das Gefühl bekommt, dass man sie vermisst.
Wird Katrin schwanger und ihre Tochter Annika kommt zur Welt.
Als Katrin sie zum ersten Mal im Arm hält und dieses kleine, warmatmende Bündel an sich drückt, spürt sie etwas, das sie so noch nie gespürt hat.
Eine Zärtlichkeit, die nicht gezwungen ist, eine Nähe, die sie nicht misstrauisch macht.
Anika wird für Katrin zu einem Anker.
Ihr Blick, ihr Lächeln, ihr leises Brabbeln geben Katrin zum ersten Mal das Gefühl, wirklich gebraucht zu werden und nicht austauschbar zu sein.
Mitten in dieser anstrengenden Zeit, in der Katrin zwischen ihrem Job in der Kindergrippe und dem Leben als junge Mutter kaum zur Ruhe kommt, passiert etwas, das nicht nur ihr Leben für immer verändern wird, sondern das aller sechzehn Millionen Menschen der DDR.
Eines Abends kommt Jörg völlig neben der Spur aus der Kaserne nach Hause.
Katrin fragt, was los ist, doch er antwortet nicht.
Stattdessen schaltet er den Fernseher an.
In diesem Moment spürt Katrin, dass etwas Weltbewegendes passiert.
Und deshalb haben wir uns dazu entschlossen, heute eine Regelung zu treffen, die es jeden Bürger der DDR möglich macht, über Grenzübergangspunkte der DDR auszuweisen.
SED-Funktionär Günter Schabowski kündigt in einer Pressekonferenz an, dass die Grenze sofort unverzüglich geöffnet werde.
Eigentlich war das erst für den nächsten Tag geplant, aber weil wegen dieser Ankündigung noch an jenem Abend hausende DDR-Bürgerinnen zu den Grenzübergängen stürmen und auf der Inberlinenstraße in Berlin etliche auf der Mauer tanzen, die Jahrzehnte lang die Stadt geteilt hat, wird der neunte November offiziell der Tag des Mauerfalls.
Über dreihunderttausend Menschen aus der DDR verlassen noch an den Tag den Start und gehen in die BRD.
Es ist der Anfang vom Ende für die DDR.
Elf Monate später ist sie offiziell Geschichte.
Kathrin steht mit offenen Mund vor dem Fernseher und versteht kaum, was sie da sieht.
Sie spürt, wie alles, was sie über die DDR gelernt hat, plötzlich ins Wanken gerät.
Der Westen, vor dem sie immer gewarnt wurde, scheint auf einmal gar nicht so bedrohlich, eher wie ein Ort, zu dem Menschen strömen, sobald sich eine Tür öffnet.
Für einen Moment hat sie den Satz ihrer leiblichen Mutter, den sie als Kind gehört hat.
Wenn sich hier nichts ändert, dann hau ich ab.
Doch Katrin hat kaum Zeit, sich in diesen Gedanken zu verlieren.
Ihr Leben überschlägt sich in den nächsten Wochen.
Sie muss sich in der neuen Welt erst mal zurechtfinden.
Von einem Tag auf den anderen gelten Regeln nicht mehr, die sie ihr Leben lang verinnerlicht hat.
Arbeitsplätze werden unsicher, Preise steigen, viele Menschen verlieren ihre soziale Sicherheit, die ihnen die DDR gegeben hat.
Das alles fordert sie und schon bald merkt sie auch noch, dass sie wieder schwanger ist.
Als Katrin im Mai, mit zwei Jahren bei einem Schwangerschaftsvorsorgetermin ist, bekommt sie bei der Untersuchung in der Klinik gesagt, dass ihr ungeborenes Kind eine Erbkrankheit haben könnte.
Es wird ihr dringend geraten, dafür einen Test durchzuführen.
Es gibt dabei nur ein Problem.
Für den Test brauchen die Medizinerinnen eine Vergleichsblutprobe, und zwar am besten von Katrin's leiblicher Mutter.
Erst die Sorge um ihr ungeborenes Kind bringt Katrin dazu, wieder an ihre leibliche Mutter zu denken.
Die Vorstellung, dass diese Frau irgendwo da draußen leh, berückt plötzlich näher.
Zum ersten Mal erscheint es möglich, nach ihr zu suchen, jetzt, da Katrin erwachsen ist und die DDR nicht mehr existiert.
Sie ruft beim Jugendamt in Gera an.
Doch dort sagt man ihr, man dürfe keine Adressen herausgeben.
Ihre Mutter habe damals das Sorge recht abgegeben, rechtlich seien die beiden keine Familie mehr.
Deswegen habe Katrin keine Anspruch auf Auskunft.
Katrin führt sich hilflos und greift zu einem Schritt, den sie lange vermeiden wollte.
Sie ruft ihre Adoptiv-Mutti an.
Der Gedanke daran löst sofort die Erinnerung an jene schmerzvolle Gespräche aus, dass sie als Zwölfjährige geführt hatte und an die wochenlange Kälte, die darauf folgte.
Trotzdem zwingt sie sich, die Nummer zu wählen.
Es geht ja jetzt um ihr Kind.
Zu ihrer Überraschung reagiert die Mutti freundlich.
Sie sagt sofort, sie werde sich kümmern.
Ein paar Tage später sitzen beide im Jugendamt und diesmal funktioniert es.
Die Motive kommt Auskunft und verlässt mit Katrin das Gebäude.
In ihrer Hand hält sie einen kleinen Zettel mit einer Adresse.
Für Katrin ist dieser Moment überwältigend, denn dieser Zettel bedeutet, dass ihre Mutter lebt.
Doch anstatt nun Kontakt mit ihrer leiblichen Mutter aufzunehmen, bleibt der Zettel erst mal unberührt in einer Schublade in Katrin Schreibtisch.
Ein Jahr lang.
Nicht, weil sie sich davor drückt, Kontakt aufzunehmen, sondern weil zu viel Zeit vergangen ist.
Katrin ist in der Schwangerschaft schon weit.
Und kurz nachdem sie die Adresse bekommen hat, setzen auch noch vorzeitig die Wähnen ein.
Katrin's Sohn kommt in den letzten Jahren in der Welt.
Der Alltag mit einem Säugling und einem kleinen Kind lässt kaum Raum für so eine große emotionale Aufgabe.
Außerdem bleiben die Zweifel.
Will ihre leibliche Mutter sie überhaupt sehen?
Immerhin hat sie auch nie den Kontakt gesucht.
In stillen Momenten schreibt Katrin manchmal, liebe Mama, auf einem Blatt.
Doch weiter kommt sie nicht und wirft den angefangenen Brief weg.
Wie soll man Worte für jemanden finden, der gegangen ist, als man viel war und trotzdem eine so große Lehrstelle hinterlassen hat?
Es dauert über ein Jahr lang, bis sie es schafft, Worte an sie zu richten, die sie auch abschicken mag.
Zur Katrins Überraschung lässt die Antwort nicht lange auf sich warten.
Schon zwei Tage, nachdem sie den Brief eingeworfen hat, erhält sie eine unscheinbare Postskarte, wo draufsteht, ihr seid mir jederzeit gerne willkommen.
Kathrin's Hand zittert etwas, als sie im Frühjahr deinerzeit auf eine Klingel aus Plastik drückt.
Auf dem Klingel schild daneben steht kein Name.
Der Zettel in ihrer Hand, auf dem dieser Adresse stand, hat sie die ganze Fahrt umklammert, sodass er völlig zerknittert ist.
Kathrin war wohl noch nie so nervös wie in diesem Moment, in dem sie in einem schmalen Hauseingang in einem Dorf in Thüringen steht.
Nachdem sie die Postkarte im Briefkasten hatte, ist sie mit ihrer Familie einfach hergefahren, ohne nochmal zu antworten oder sich anzukündigen.
Jörg und die Kinder warten in diesem Moment noch im Auto.
Sie will das ja erst mal allein machen.
Dann hört sie eine Stimme.
Die Tür ist offen, kommen sie rein, ruft sie.
Sie öffnet die Tür und betritt einen dunklen Hausflur, an dessen Wändenkleidung aufgehängt ist.
Katrin's Augen müssen sich an die Dunkelheit gewöhnen, bevor sie erkennt, dass am oberen Treppenabsatz schon jemand wartet.
Katrin, sagt die Gestalt.
Katrin antwortet etwas zögerlich, ja, während sie dann langsam auf die Frau in der Tür zugeht.
Plötzlich sagt die Frau, ach mein Kind, meine Katrin.
Bevor Katrin sich und ihre Gedanken sammeln kann, hat die Frau bereits ihre Arme nach ihr ausgestreckt und sie fest an sich gedrückt.
Als Katrin einatmet und den vertrauten Geruch in sich aufnimmt, kommt plötzlich alles zurück, ein Gefühl von Vertrautheit, von Geborgenheit.
Das ist ihre Mama, die sie seit neunzehn Jahren nicht mehr wiedergesehen hat.
Dabei rinden ihr die Tränen über die Wangen.
Eine Weile stehen sie so da, erst dann schaut Katrin Jutta zum ersten Mal richtig an.
Sie ist relativ zierlich und hat glatte braune Haare.
Ihre Mama sieht ihr selbst ziemlich ähnlich, denn Katrin.
Ihre Mutter bittet Katrin rein, auch Jörg und ihre Kinder sollen hereinkommen.
Alle begrüßen einander herzlich.
Katrins Mutter stellt ihren neuen Partner vor, mit dem sie zusammen ist.
Katrin ist froh über das Durcheinander.
Sie ist noch immer überwältigt und ihr Herz rast.
Sie hat zwar viele Fragen, aber gerade wüsste sie noch nicht, was sie zu ihrer Mutter sagen soll.
Erst, als sie alle sitzen und Kaffee trinken, schafft es Katrin etwas zu fragen.
Es ist die dringlichste Frage, die sie jahrelang begleitet hat.
Was ist damals passiert?
Du hast doch gesagt, du wolltest abends wiederkommen.
Und dann bist du einfach nicht mehr aufgetaucht.
Nie mehr.
Ihre Mutter antwortet sanft und einfelsam.
Ich konnte nicht zurückkommen, Kathrin.
Ich war im Gefängnis.
Sie erzählt nur bruchstückhaft von ihrer Zeit im Untersuchungsgefängnis in Halle.
Dort habe sie mit ansehen müssen, wie andere Insassinnen stundenlang Wasser über den Kopf gegossen wurde, eine Foltermethode, die ihr noch heute im Gedächtnis brennt.
Sie deutet sexuelle Übergriffe an und spricht von Tagen, an denen das Essen kaum gereicht hat, sagt dazu aber nichts Genaueres.
Stattdessen beschreibt sie die Situation während ihrer etwa siebenjährigen Haft, in denen der Zugang zur Toilette oder zum Bett verriegelt war und sie auf dem nackten Boden schlafen und dort auch ihr Geschäft verrichten musste.
Manchmal sei das Licht in der Zelle völlig unberechenbar an und ausgegangen, sodass sie irgendwann nicht mehr wusste, ob Tag oder Nacht war.
Während sie davon erzählt, kann Katrin spüren, dass sie der Blick in die Vergangenheit Kraft kostet.
Und dennoch muss Katrin sie fragen, was ihr so sehr auf der Seele brennt.
Warum hast du mich nicht gesucht, als du aus der Haft freigekommen bist?".
Mit einem einfühlsamen Ton in der Stimme antwortet Katrin's Mutter, das durfte ich nicht, das war verboten.
Sie erzählt weiter, sie hab unterschreiben müssen, dass sie keinen Kontakt zu Katrin suchen würde.
Ihren älteren Sohn René durfte Jutta später noch hin und wieder sehen, erzählt sie.
Auch das habe die Stasi als Druckmittel gegen sie eingesetzt.
Hätte sie versucht, Katrin zu kontaktieren, wäre René ihr komplett entzogen worden.
Katrin empfand man noch als jung genug, um sich an eine neue Adoptivfamilie zu gewöhnen.
Deshalb sollte der Kontakt zu ihrer leiblichen Familie radikal gekappt werden.
Als ihre Mutter Jutta jetzt davon erzählt, wie ihr das Sorgerecht entzogen wurde, zittert ihre Stimme und sie wird immer aufgebrachter.
Ich hätte dich nie von mir aus freigegeben und hab's auch nie getan, das schwöre ich.
Jutta erzählt, wie sie damals im Gefängnis einen regelrechten Turbsuchsanfall hatte, als ihr gesagt wurde, dass sie ihre Kinder nicht wiedersehen würde.
Ihr Wutanfall hat die Behörden noch mal in dem Bild bestärkt, was sie eh schon von ihr hatten.
Die Schweine haben dich mir weggenommen, ruft Katrin's Mutter plötzlich.
Für den Moment erleichtert das alles Katrin.
Ihre Mutter hat sie anscheinend nicht absichtlich verlassen.
Als Katrin sich umsieht, spürt sie, wie sich ihre Brust eng anfühlt.
Das Haus, in dem ihre Mutter wohnt, wirkt ärmlich und in die Jahre gekommen.
Zwar gemütlich, aber die Wände sind klamm und voller Schimmel.
Ihre Mutter ist heute eine gebürgt laufende Frau, obwohl sie erst Mitte vierzig ist.
gezeichnet von traumatischen Erlebnissen mit einem schwachen Herzen in der Folge von einem schweren Leben in Haft.
Katrin fühlt mit ihr und weiß in dem Moment, diese Frau ist keine Staatsverräterin, sie ist meine geliebte Mutter und ich bin ein Teil von ihr.
Als sie sich am Abend mit einer innigen Umarmung verabschieden, weiß sie, dass dies nicht der letzte Besuch war.
In dem Moment, in dem sie wieder mit Jörg und ihren Kindern im Auto sitzt, fällt eine Last von Katrin ab.
Endlich hat sie ihre Mutter wieder.
Einen Teil ihrer Identität denkt sie und winkt der Frau, die im Fenster steht, während sie wegfahren.
Katrin weiß jetzt, dass ihre Mutter Jutta sie nie verlassen hat.
Katrin wurde zwangsadoptiert.
Und davon waren natürlich nicht nur Katrin und ihr Bruder und ihre Mutter betroffen.
Die Zahl der Zwangsadoptionen in der DDR wird auf mindestens mehrere hundert geschätzt.
Bis heute sind viele Fälle nicht wirklich aufgearbeitet und deswegen studiert Professor Carsten Laudin aktuell im Rahmen eines großen Forschungsprojekts die Zwangsadoption der DDR.
Der Vorwurf lautet ganz einfach, dass die DDR Kindern grundlos die Eltern weggenommen hat oder Eltern grundlos die Kinder weggenommen hat.
Das ist wichtig.
Grundlos bedeutet, auch dann hat die Jugendhilfe zum Beispiel Eltern das Erziehungsrecht entzogen, um sie hinterher zu adoptieren, wenn die Eltern sich in sozialer Hinsicht gar nichts zu Schulden haben kommen lassen.
Also selbst wenn das Wohl des Kindes nicht gefährdet war, weil die Eltern jetzt zum Beispiel Drogen genommen haben, Alkoholabhängig waren oder Gewalt angewandt haben.
Die Theorie der Zwangsadoption in der DDR, die Laudin untersucht, ist also, dass die Kinder auch entzogen wurden, wenn die Eltern die falsche, in Anführungszeichen, politische Einstellung hatten.
Theorie, sagt man, weil Zwangsadoption als Phänomen der DDR noch nicht von der Wissenschaft bestätigt ist.
Forschende wie Laudin sind noch dabei herauszufinden, ob es wirklich systematische Zwangsadoptionen in der DDR gegeben hat.
Dafür werden ganz viele Fälle von Menschen analysiert, die glauben, dass bei ihnen eine Zwangsadoption vorliegt.
Das Ding ist, diese Zwangsadoptionen sind schwer nachzuweisen.
Und das liegt vor allem daran, dass in den Aktien wie offen von politischen Gründen gesprochen wird.
In den offiziellen Unterlagen klickt, dass er halt eher immer so als sein Kind aus pädagogischen oder sozialen Gründen aus der Familie genommen worden, selbst wenn die wahre Motivation klar politisch war.
Noch schwieriger wird es durch die Praxis der sogenannten Incognito-Adoption.
Dabei wurde jede Verbindung zwischen leiblichen Eltern und Kind vollständig gekappt.
Die Adoptiveltern bekamen dann sogar neue Geburtsurkunden, in denen die leiblichen Eltern nicht mehr auftauchten.
Juristisch galt das Kind dann nicht mehr als verwandt mit seinen leiblichen Eltern und deswegen hatten dann später die leiblichen Eltern wie Jutta auch kein Auskunftsrecht, weder über den Aufenthaltsort noch über das Leben ihrer Kinder.
Also der Staat wollte so verhindern, dass die Herkunftsfamilien nachforschen können.
Die Aufarbeitung heute ist deswegen so wichtig, weil die Psyche der Eltern aber vor allem der Kinder da massiven Schaden von getragen hat, sagt Laudin.
Die Torturen, die es bedeutet hat für Kinder, werden sie den Eltern einfach von heute auf morgen, zum Beispiel nach einer verunglückten Republikflucht weggenommen worden sind mit drei Jahren.
Die drastische Verletzung jeder Bindungsmöglichkeit, das Zerstören von Urvertrauen, das kann man überhaupt nicht abfangen.
Das trifft nicht auf jede Familien-Situation zu, aber bei manchen erklärt Carsten Laudin hinterlässt diese plötzliche, zerstörte Bindung ein Leben lang Spuren und auch Fragen.
Da fehlt einem der genealogische Gesprächspartner gewissermaßen.
Ich weiß nicht, wo ich herkomme.
Ich bin nicht wirklich zugehörig.
Gehörig wirklich dazu und so weiter.
Sowohl für die Eltern als auch für die Kinder.
Es kann eine extreme biografische Verunsicherung sein, die ganz...
direkt auf das eigene Selbstwertgefühl umschlägt.
und in welche Richtung das ist, schwer zu kalkulieren.
Katrin kennt diese Gefühle gut, die der Verunsicherung, das zerstörte Urvertrauen.
Diese tiefen Wunden heilen nicht einfach, auch jetzt nicht, wo sie ihre leibliche Mutter wieder in ihrem Leben hat.
Wie sehr all ihre Probleme noch präsent sind, lernt sie auf die harte Tour, beim Versuch, ihre Vergangenheit in Einklang zu bringen.
Nach dem ersten Treffen mit ihrer Mutter hat Katrin gewissensbisse.
Was würden ihre Adoptiveltern darüber denken?
Würden sie sie für undankbar halten, dafür, dass sie sie großgezogen haben?
Katrin macht einen radikalen Schritt.
Sie vereinbart ein Treffen, damit sich ihre Mutter und ihre Adoptiveltern kennenlernen.
Denn sie wünscht sich sehnlich, dass die Zerrissenheit zwischen den beiden Welten aufgelöst wird.
An einem warmen Sonntag, im Sommer dekend, kommt mehrere Autos auf dem kleinen Gartengrundstück von Kathrin's leiblicher Mutter Jutta an.
Sie hat den Tisch gedeckt, einen Kuchen gebacken und hofft auf ein friedliches Erstes treffen.
Doch die Stimmung bleibt angespannt und das Gespräch am Tisch steif und förmlich.
Und somit auch ereignislos.
Bei der Verabschiedung dann aber, sagt Kathrin's Adaptivmutter einen Satz, der die höfliche Fassade zum Einsturz bringt.
Wir haben ja immerhin ein anständiges Mädchen aus Kathrin gemacht.
Als Katrin Jutters Gesicht anschaut, sieht sie, wie sich dort Wut aufbaut.
Ihr habt mir ja keine Chance gelassen, zu beweisen, dass ich eine gute Mutter bin.
Ihr roten Socken.
Ihr habt mir meine Kinder weggenommen.
Es klingt, als würde sich mit den Worten jahrelanger Frust entladen.
Adoptivmutter Ingrid legt die aufgesetzte Zurückhaltung nun voll ernst ab.
Natürlich hatten wir unsere Verpflichtung, aber es ging schließlich darum, aus Katrin einen ordentlichen Menschen zu machen.
Katrin geht dazwischen und beendet den Schlagabtausch ihrer beiden Mütter.
Es ist ganz offensichtlich, dass Ingrid und Jutta in diesem Moment noch immer die Überzeugungen in sich tragen, mit denen sie groß geworden sind.
An diesem Tag sind nicht nur zwei Familiengeschichten, sondern auch zwei gegensätzliche Weltbilder aufeinander getroffen.
Auf dem Heimweg fühlt sich Katrin Zerrissenar denn je.
Wenn überhaupt, fühlt sie sich durch das Treffen mit ihrer leiblichen Mutter noch mehr verunsichert darin, wer sie ist.
Ihre Mutter Jutta ist eine gute Frau, die viel durchgemacht hat und deshalb den Staat hasst, der sie so viele Leiden hat durchleben lassen.
Kathrins Adaptivmutter Ingrid ist Repräsentantin und Gesandte dieses Staats, an denen sie selbst felsenfest beglaubt hat.
Alles, was Katrin als Kind gelernt hat über ihren Staat und das Leben, ist nun erschüttert.
Als Kind war sie so stolz, die Pionieruniform zu tragen und hat gerne in den Willen von Stasi-Mitarbeiterinnen gespielt.
Nur um jetzt das alles hinterfragen zu müssen.
Alles, was einmal sicher und richtig war.
Um irgendwie diesen Zwiespalt auszuhalten, entwickelt Katrin einen Drang mehr zu erfahren über das, was passiert ist.
Antworten findet sie im Archiv der GERA-Adoptionsvermittlungsstelle, denn sie fordert Einsicht in ihre Akte.
Und das ist kein einfaches Unterfangen.
Rechtlich wurden alle Adoptionen gleich behandelt, auch die, bei denen politische Gründe eine Rolle spielten.
Deshalb steht adoptierten Kindern grundsätzlich ein Akten-Einsicht recht zu, den leiblichen Eltern aber nicht.
Und gleichzeitig war das in der Nachwendezeit halt so, dass SachbearbeiterInnen Teile der Akten sperren durften, wenn sie fanden, dass darin sensible Informationen stehen, die schützenswert waren.
Aber dieses Ermessen lag nach der Wende halt oft bei den MitarbeiterInnen, die schon zu DDR-Zeiten in der Jugendhilfe tätig waren.
Und so entsteht für viele Betroffene bis heute eine Lücke.
Sie erfahren nicht alles über die Umstände ihrer eigenen Geschichte, weil wichtige Informationen in abgeschotteten Akten liegen.
Katrin hat jetzt aber Glück mit ihrer Akte.
Bei einem Termin ließ eine Sachbearbeiterin Katrin Auszüge daraus vor.
Was sie als erstes schockt, dort steht ihre Mutter Waschung einmal in Haft, angeblich wegen Diebstahls- und Urkundenfälschung, und zwar als Katrin noch ein Baby war.
Sie und ihr Bruder René müssen solange in einer staatlichen Krippe untergekommen sein.
Dieser Vorfall hat offenbar dazu geführt, dass Jutta danach streng überwacht wurde.
Regelmäßig gab es Hausbesuche des Jugendamts und Vorladungen bei der Stasi-Dienststelle, wo sie sich auch verantworten musste, wenn sie mal nicht zur Arbeit erschienen.
Möglich, dass ihr der Kindergarten auch deswegen die Tür vor der Nase zugeschlagen hat.
Und dass sie nicht auf das Kinn von jemandem Acht geben wollten, der beobachtet wurde.
Das wissen wir aber nicht sicher.
Nach ihrer Verhaftung in twohundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundund.
Über die Problematik dieses Wortes asozial müssen wir nicht sprechen, das haben wir hier in einigen Folgen schon getan.
Weiter hinten in der Akte ihrer Mutter befindet sich ein Brief.
In einem fast flehenden Ton bittet sie darin die Behörden, dass wenigstens Katrin's Oma weiterhin Kontakt zu ihr haben darf.
Aber es bringt nichts.
Auch der Oma wird der Kontakt zu Katrin untersagt.
Erst als Katrin das erfährt, versteht sie, was bei diesem eigenartigen Treffen mit ihrer Oma im Park passiert ist.
Ihre Oma hat sich von Katrin verabschiedet, denn sie wusste, dass sie sie nicht mehr wiedersehen durfte.
Katrin erfährt, dass ihre Oma in den Westen gegangen ist.
Eigentlich wollte Katrin ihre Oma noch mal besuchen, dazu kommt es nun aber nicht mehr, weil sie an einem Herzinfarkt gestorben ist.
Nicht lange, nachdem ihre Oma Katrin in drei Jahren einen letzten Mal im Kinderheim gesehen hat, wird auch ihrer Mutter in Haft das Sorgerecht entzogen.
In der Urteilsbegründung steht, es sei notwendig, alle Kontakte zu den bisherigen Verwandten abzubrechen, um das Einleben in einer fremden Familie zu erleichtern.
Nach dem gescheiterten Kennenlernversuch ihrer beiden Familien herrscht zwischen den Seitenfunkstille.
Zwei Jahre vergehen, in denen Katrin irgendwie versucht, ihre Identität zusammenzuflicken.
In der Zeit von drei Jahren hat sie dann eine Nachricht, die alles überschattet.
Ihr Adoptivvater ist schwer krank.
Ein hartnäckiger Husten entpuppt sich als weit fortgeschrittener Lungenkrebs.
Katrin fährt sofort zu ihm, doch kurze Zeit später stirbt er.
Wie sehr er ihr halt gegeben hat, wird ihr erst jetzt bewusst.
Er war nie derjenige, der gegen Ingrid aufgestanden wäre, aber er war der Mensch in diesem Haus, der sie gesehen hat und dem sie wichtig war.
Und so härter trifft sie, was unmittelbar nach seinem Tod passiert.
Noch am Tag der Beerdigung kümmert sich Ingrid um die Lebensversicherung.
Auf Kathrin wirkt das kalt und unpassend so mitten in der Trauer ohne finanzielle Probleme.
Und das sagt sie auch.
Was sie darauf zu hören bekommt, trifft sie mitten ins Mark.
Ingrid zischt.
Ich sag dir mal eins, von mir aus weißt du damals längst ans Kinderheim zurückgekommen.
Was wir dich behalten haben, hast du nur Fatih zu verdanken.
Katrin ist nicht überrascht, denn tief in sich hat sie diesen Gedanken ihr Leben lang mit sich herumgetragen.
Aber ihn so deutlich zu hören tut trotzdem weh.
Der letzte Mensch, der ihr in ihrer Kindheit ein Gefühl von Zugehörigkeit vermittelt hat, ist tot.
Und mit diesen Worten zerreißt Ingrid endgültig, was zwischen ihnen noch übrig war.
Nach all den Versuchen, ihr eigenes Leben zu ordnen, war Katrin irgendwann den Schritt, die Person aufzusuchen, die dasselbe Schicksal mit ihr teilt.
Sie kontaktiert ihren Bruder Rene.
Doch die lange Trennung, die vielen Verletzungen und die völlig unterschiedlichen Lebenswege lassen es nicht zu, dass sich wieder eine Geschwisterbeziehung bildet.
Auch das Verhältnis zur Jutta bleibt kompliziert.
Irgendwie kann Katrin das Gefühl nicht ablegen verlassen worden zu sein.
Auch die Therapie hilft ihr nicht dabei.
Sie weiß zwar jetzt, dass es ihrer Mutter nicht möglich war, sie nach dem Gefängnis zu kontaktieren, allerdings fragt sie sich jetzt, wieso es überhaupt erst so weit kommen konnte.
Wieso war ihre Mutter trotz der Stasi-Besuche nicht vorsichtiger?
Warum hat sie so offen geschimpft, obwohl sie wusste, wie gefährlich das war?
Je mehr Kathrin versucht, in ihrer eigenen Familie Klarheit zu finden, desto deutlicher wird ihr, dass viele andere ähnliche Wunden tragen.
Sie beginnt zu lesen, zu recherchieren, mit weiteren Betroffenen zu sprechen.
Und ihr wird klar, was ihr passiert ist, dass es längst kein Einzelfall.
Es gibt noch viele andere Geschichten, die genauso schmerzhaft sind wie ihre eigene.
Kathrin beginnt, ihre Erfahrungen aufzuschreiben.
Daraus wird ein Buch mit dem Titel Entrissen, der Tag als DDR, mir meine Mutter nahmen.
Sie tritt in den Medien auf, schafft mehr Sichtbarkeit für das Thema und gründet einen Verein.
Hilfe für die Opfer von DDR-Zwangsadoption EV.
Katrin selbst ist seit einer Weile aus persönlichen Gründen aus der Öffentlichkeit zurückgetreten und kann uns deswegen nicht mehr von dieser Zeit erzählen.
Aber ein wichtiger Mitstreiter von Katrin kann das, der das Thema Zwangsadoption an die Öffentlichkeit gebracht hat.
Er heißt Andreas Lager und ist heute Vorsitzender der Interessengemeinschaft gestohlener Kinder der ehemaligen DDR.
Neben Katrin ist er der einflussreichste Aktivist zum Thema Zwangsadoption.
Seine eigene Verbindung mit dem Thema hat damit angefangen, dass er selbst betroffener ist.
Lake hat seinen Sohn Marco, achtundzwanzig Jahre lang gesucht, nachdem er ihm und seiner Frau, nünzundhundertvierundachtzig, wegen einer missglückten Flucht als Baby weggenommen wurde.
Nachdem Lake inhaftiert wurde und nach der Wende wieder freigelassen wird, begibt er sich auf eine jahrzehntelange Suche nach seinem Sohn.
Erst zwei tausend dreizehn findet er ihn nach einem Auftritt, in der satt.
Einsendung bitte melde dich wieder.
Das Glück, dass er erfahren hat, als er einen Teil von sich wiedergefunden hat, das wünscht sich Andreas Lake auch für andere.
Und er würde ihn gerne dabei helfen.
Über ein Zeitungsartikel erfährt er von Katrin und kontaktiert sie.
Ich habe dann die Katrin angerufen, wir haben uns dann auch in ihrer kleinen Wohnung damals noch ein Gerhard getroffen und dort haben wir dann gesagt, Mensch, lass uns doch das Thema gemeinsam in die Öffentlichkeit bringen.
Zwei Personen können mehr erreichen wie eine Person.
Von da an sind Katrin und Andreas Lager Mitstreiterinnen im Verein Hilfe für die Opfer der DDR-Zwangsadoptionen e.V.
Sie gründen ihre erste Facebook-Gruppe und merken, es melden sich schnell weitere Menschen, die vermuten, dass ihnen sowas wie eine Zwangsadoption widerfahren ist.
Katrin und Andreas Lager bringen Menschen, die auf der Suche nach Angehörigen sind, auf Treffen zusammen, beraten sie, bringen ihre Fälle in die Öffentlichkeit und helfen ihnen beim Umgang mit Behörden.
Inzwischen sind es etliche.
Und ja, wir haben zur Zeit, ich muss es mal schauen, damit ich nichts falsch sage, die Menschen, die wir betreuen.
Also tagtäglich melden sich bei mir zwischen drei und fünf Personen.
Das Dilemma ist aber, nur die wenigsten Fälle können wirklich aufgeklärt werden.
Die meisten von ihnen wissen nicht sicher.
ob sie wirklich Betroffene einer Zwangsadoption sind.
Und viele haben, wie gesagt, nicht mehr Akteneinsicht.
Und wenn doch, dann finden sie da meist das Narrativ des DDR-Regimes, also so wie das auch bei Jutta war.
Und dann gibt's natürlich auch noch die Personen, die überhaupt nicht wissen, dass sie adoptiert sind und deswegen sich natürlich auch nie melden werden.
Schließlich kennen sie nur die Version der Geschichte ihrer systemtreuen Adoptiveltern.
Und die leiblichen Eltern, ich hab's ja gesagt, dürfen diese Akten nicht einsehen.
Andreas Lake und Katrin Wissen, damit mehr Menschen geholfen werden kann, ihre persönlichen Antworten zu finden, braucht das Thema Zwangsadoption auch politische Aufmerksamkeit und vor allem politische Konsequenzen.
Neben der individuellen Aufklärung spielt eine zweite Sache eine riesige Rolle für die Betroffenen von Zwangsadoptionen.
Die offizielle Anerkennung von Zwangsadoptionen als Unrecht des SED-Staats.
Denn wenn Zwangsadoptionen als Unrecht des SED-Staats anerkannt werden, dann würden Betroffene auch Anspruch auf eine Opferrente und gesundheitliche Hilfe bekommen.
Die können aber erst als Unrecht anerkannt werden, wenn die Forschung sie als reales und vor allem systematisches Konzept anerkennt.
Und damit gibt es ja ein Problem, der strenge Datenschutz im Adoptionsrecht verhindert, dass Expertinnen die vermeintlichen Zwangsadoption aus der DDR-Zeit untersuchen können.
Deshalb bleibt eine groß angelegte Studie auch ergebnislos.
Katrin, Andreas Lake und alle anderen vermeintlichen Betroffenen stehen davon im großen Problem.
Sie sind zwar viele, aber mit solchen Gegebenheiten können sie das kollektive Unrecht nicht beweisen.
Aber im Jahr zwei Jahrzehnte fällt Andreas Lake etwas ein.
Ich habe dann gedacht, wir müssen eine Petition starten.
Wir müssen etwas machen, wir müssen etwas ändern.
Wir müssen dieses Adoptionsgesetz ändern und wir müssen auch klare Forderungen stellen.
Katrin war immer voll und flach und gesagt, das machen wir, das ziehen wir durch.
Kathrin und Andreas Lager werden daraufhin zu einer öffentlichen Anhörung im Bundestag eingeladen, bei der sie über mehrere Stunden die Fragen von Politikerinnen über Zwangsadoption beantworten.
Endlich hört ihn jemand zu und die Anhörung scheint Früchte zu tragen.
Im Juni, einundzwanzig, bekam ich Erneutpost vom Deutschen Bundestag, dass man unsere Petition im vollen Umfang angenommen hat.
Und ich denke mal, damit haben wir schon mal große Achtungszeichen setzen können, weil nämlich auch der Paragraf, der diese Akteneinsicht verhindert hat, gelockert wurde.
Es ist ein Meilenstein in der langjährigen Arbeit von Katrin und Andreas Lake.
In der Folge passieren dann zwei Dinge.
Es wird eine offizielle Clearingstelle eingerichtet, bei der sich Menschen melden können, die glauben, in eine DDR-Zwangsadoption verwickelt worden zu sein und es wird ein interdisziplinäres Forschungsprojekt bewilligt.
Das Projekt soll umfassend Fälle prüfen und legt seine Ergebnisse im Frühjahr, so schon bald.
Einer der beiden Leiterinnen des Forschungsprojekts ist Professor Carsten Laudin.
Also unser Experte, den ihr hier schon öfter gehört habt.
Also wir haben sozusagen, wir haben Heimleg in die Adoptionsakten bekommen und haben auch mehr über tausend Adoptionsakten durchgearbeitet.
Nicht mit der Erwartung, wir finden Zwangsadoptionen.
Denn wie gesagt, so offensichtlich steht das ja alles nicht in den Akten drin.
Anhaltspunkte kann es aber trotzdem geben, also Unregelmäßigkeiten oder irgendwelche Hinweise.
Karsten Laudin darf bis zur offiziellen Veröffentlichung der Ergebnisse noch nichts genaueres dazu sagen, was das Forschungsprojekt herausgefunden hat.
Aber er darf sagen, dass es auf jeden Fall gesicherte Fälle gibt.
Kathrin und Andreas Lager zeigen, wie lang der Weg zur Wahrheit sein kann.
Manche Betroffene suchen jahrzehntelang nach Antworten und manche finden sie nie.
Und selbst wenn es gelingt, leibliche Angehörige ausfindig zu machen, endet der Kampf nicht.
Das Gefühl, entrissen worden zu sein, bleibt ein Leben lang Teil der eigenen Geschichte.
Auch die politische Anerkennung der Zwangsadoption steht weiter aus.
Und das während die Zeit drängt, denn die Zeitzeuginnern werden älter.
Wir sind noch ganz weit weg.
Wenn wir uns das wie ein Berg bezeichnen können, stehen wir noch unten.
Wir müssen noch bis hoch krach sind.
Das heißt, wenn wir hier noch weitere zehn, fünfzehn Jahre warten, dann löst sich das Problem biologisch eigentlich.
Und das ist nicht schön.
Man muss jetzt was machen und zwar ganz schnell.
Deswegen möchten Andreas Lager, Karsten Laudin und Katrin, dass das Thema weiter Öffentlichkeit bekommt.
Und deswegen haben wir uns auch für diese Folge für das Thema entschieden, damit möglichst viele, die möglicherweise damals vom Regime ihren Eltern entrissen wurden, sowie Katrin von ihrem Schicksal erfahren und mehr Klarheit bekommen.
Die Links zur Interessengemeinschaft und dem Forschungsprojekt findet ihr in den Show Notes.
Und falls ihr Leute kennt, ihr werdet wahrscheinlich nicht selber diese Leute sein, aber falls ihr in eurer Familie Leute von damals habt, die über sowas sprechen, erzählt denen von diesem Projekt.
Zwei Tausend Zwölf erreichen Katrin und Jutta einen Erfolg, der für sie eine Art Abschluss ist.
Ihre Mutter wird auf ihren Antrag hin strafrechtlich rehabilitiert.
Damit ist offiziell, dass sie zu Unrecht ins Gefängnis gekommen ist.
Zwei Tausend Fünfzehn stippt Ingrid Katrins Adoptivmutter.
Und zwei Jahre später Jutta, ihre leibliche Mutter.
Als sie noch gelebt haben, hat die Beziehung zu beiden in Katrin großen Schmerz verursacht.
Jetzt, da beide tot sind, ist da plötzlich ein anderes seltsames Gefühl, das Katrin erst mal einordnen muss.
Sie fühlt sich ungewohnt frei.
Ja, das mag erst mal hart klingen, aber ich kann das auch irgendwie verstehen.
Keine von beiden hat die Rolle der Mutter je so erfüllt, wie sie es sollte und wie es gut für Katrin gewesen wäre, die eine weil sie nicht konnte und die andere weil sie nicht wollte.
Und natürlich kann es sein, dass wenn es beide Mütter nicht mehr gibt, sich da auch einen Druck löst, für den die beiden standen oder einen Schmerz.
kann ich mir zumindest vorstellen, ja, weil beide in kathrinjahr jahrelang tiefe Verletzungen verursacht haben, auch wenn die eine nicht wirklich was dafür konnte, weil sie inhaft war.
Ich meine...
Das wäre an sich jetzt auch noch mal eine eigene Crime-Geschichte gewesen, was der Mutter Jutta da passiert ist.
Und da geht es jetzt nicht nur um ihre Seite der Zwangsadoption, sondern auch um die Sachen, die sie da im Gefängnis in der DDR erlebt hat.
Viele politische Gefangene von damals berichten davon, dass sie dort psychisch Mürbe gemacht wurden, dass Domisbrauch stattgefunden hat, Isolation, Schlafentzug, auch Bedrohungen gegenüber Angehörigen und eben sexualisierte Gewalt, so wie Jutta das auch angedeutet hat.
Offiziell gab es das natürlich alles nicht, ja.
Das, was die DDR mit den Kindern von Regime-Kritikerin gemacht hat, war übrigens kein Einzelfall in der Geschichte.
Das gab es auch in anderen Ländern, vor allem eben in Diktaturen oder kolonialen Systemen.
In Argentinien zum Beispiel hat die Militärdiktatur Kinder von Regime-Gegnerinnen verschwinden lassen und sie an treue Anhänger weitergegeben, damit sie richtig...
in Anführungszeichen aufwachsen.
In Spanien unter Diktator Franco wurden tausende Babys von sogenannten unmoralischen oder systemkritischen Müttern getrennt.
Viele davon wurden verkauft oder religiös umerzogen.
Und auch in Australien oder Kanada wurden indigene Kinder gewaltsam aus ihren Familien geholt, um sie in Heimen ihrer Kultur zu entfremden.
Also das, was da passiert ist, das ist schon lange bekannt, weil es auch überall auf der Welt gemacht wurde.
Gerade deshalb wundert es mich so, dass es in Deutschland noch immer nicht aufgearbeitet wurde und gerade jetzt auch noch dieses Forschungsprojekt dazu läuft.
Ich hoffe sehr, dass die Ergebnisse dann auch was bewirken.
Wie gesagt, mehr Infos findet ihr dazu auch noch mal in unserer Folgenbeschreibung.
Ja Leute, was soll ich sagen?
Das war die letzte Folge für dieses Jahr.
Ich kann sagen...
dass ich das kaum erwarten kann, dass dieses Jahr zu Ende geht.
twenty-fünfundzwanzig war kein besonders gutes Jahr und es gibt vielen Leuten irgendwie in meinem Umfeld so.
Deswegen habe ich mir für zwanzigundzwanzig auch Vorsätze genommen, die ich dies mal einhalten will.
Ich möchte mehr auf mich achten.
Die Situation, in der wir uns gerade befinden, sorgt einfach dafür, dass unser Leben gerade schwierig ist.
Wir haben nicht die Kontrolle über all die Sachen, die passieren.
Und deswegen haben wir, weil das so ist, in den letzten Monaten ein paar Dinge angeschoben.
die uns sicherlich helfen werden, nächstes Jahr etwas entlastet zu werden, mehr dazu, dann nächstes Jahr mit Laura zusammen.
Für euch ändert sich aber soweit erst mal nichts, außer, dass wir diesmal eine Woche länger in der Winterpause sind, weil wir das gerade einfach sehr brauchen.
Wir hören uns deswegen erst wieder am XXI.
Januar, gemeinsam mit Laura, zur Folge twohundertsechsundzwanzig, im Jahr zweitausendsechsundzwanzig.
Darauf freuen wir uns.
und ganz ehrlich an die die jetzt das Jahr auch zugehört haben und die uns treu geblieben sind, obwohl wir das Format umstellen mussten.
Tausend Dank.
Ihr könnt euch nicht vorstellen, das hat bei uns auch eine Menge Druck ausgelöst und ist mit Sorgen einhergegangen.
Und das berührt uns wahnsinnig, dass Mordloß trotzdem weiterhin angenommen wird und ihr uns offenbar sehr verbunden seid.
Und das bewegt uns sehr.
Macht euch einfach schöne Feiertage.
Das war ein Podcast der Partner in Crime.
Hosts und Produktion, Paulina Graser und Laura Wohlers.
Redaktion, Emily Glaser und wir.
Schnitt, Paulina Korb.
Rechtliche Abnahme und Beratung, Abel und Kollegen.