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Architektur ohne Moral – von David Goeßmann

Episode Transcript

Architektur ohne Moral?

Welche Architektur ist emblematisch für den Neoliberalismus.

Der Historiker Christian Welsbacher zeigt, welche Räume in einer Gesellschaft entstehen, die nicht nur Elend hervorbringt, sondern dieses Elend auch noch profitabel macht.

Von David Gösmann Wenn über neoliberale Architektur und Stadtplanung gesprochen wird, geht es meist um Gentrifizierung oder um wuchende Glaspalast Skylines in den globalen Metropolen.

wo die steigenden Bodenpreise die Bauten in die Höhe schießen lassen, während sie gleichzeitig Ausdruck von extrem konzentriertem Reichtum und Macht sind.

Diese Entwicklungen sind Ergebnis einer Politik, die in den letzten Jahrzehnten viele Regulierungen für den Wohnungsmarkt aus der Nachkriegszeit beendete.

Dazu zählen effektive Mietpreisbegrenzungen oder sozialer bzw.

kommunal verwalteter Wohnraum.

Privatisierungen von öffentlichen Liegenschaften und Immobilien wurden zum Einfallstor einer investorengerechten Stadt bei der Wohnen zunehmend kommerzialisiert wurde.

Auch in Deutschland drängten seit Ende der Neunzigerjahre internationale Immobilienfonds und Investmentgesellschaften auf den Wohnungsmarkt.

Globale Player wie Cerberus, verbunden mit der Bank Goldman Sachs, Deutsche Ernekten, einem Ableger des Immobilient trusts Terra Firma, Teil der City Group, oder der Großinvestor Deutsche Wohnen, von der Deutschen Bank gegründet, kauften mit Milliarden Summen riesige Bestände oder ganze Wohnungsunternehmen auf.

Die Auswirkungen lassen sich heute überall beobachten.

In vielen Innenstädten ist bezahlbarer Wohnraum für die allgemeine Bevölkerung extrem knapp geworden, wenn er nicht gänzlich verschwunden ist.

Doch die neoliberale Wende hat noch einen anderen Effekt auf Architektur und Raumplanung gehabt.

Diesem wendet sich der Historiker Christian Welzbacher in seinem Buch Mauern, Lager, Slums Grundzüge eines neoliberalen Raumregimes zu.

Es ist das große Verdienst des Buchs, die Architektur des Elends, die Ablagerungslogik für das globale Flucht- und Wohnpräkariat ins Rampenlicht gestellt zu haben.

Welzbacher lenkt dabei den Fokus auf Flüchtlinge und Migranten und fragt, was mit ihnen passiert, wenn sie ihre Heimat verlassen müssen.

Tausende Kilometer hinter sich bringen und dann versuchen irgendwo Asyl und Schutz zu erlangen.

Wie wird mit ihnen umgegangen?

Was erwartet sie?

Wo werden sie untergebracht?

Was besagt diese Architektur über die Gesellschaften, in denen sie entstehen?

Was er dabei vorfindet, ist die Blaupause eines neoliberalen Raumregimes, das die Ohnmächtigen, Elenden und Armen kasaniert, überwacht, marginalisiert.

Diese Architektur der Mauern, Lager und Slums, sind dabei der extremste Ausdruck für ein Phänomen der kapitalistischen Moderne, bei dem Bauplaner, Architekten, Sicherheitsfirmen und Investoren vom Elend profitieren.

Und das Global.

Drei Phasen durchziehen dabei die Analyse.

Vom Krieg im globalen Süden geht es über die Transitionen der Flucht bis zur Abwehr durch Sperranlagen und der Konzentrierung der Geflüchteten in Auffanglagern und Massenunterkünften.

Dabei richtet Welsbacher das Augenmerk, auf die jeweiligen Infrastrukturökonomien, die sich über die Jahrzehnte hinweg herausgebildet haben.

Allein die Zahlen von Flüchtlingen und Binnenvertriebenen, heute sind es onehundertundzwanzig Millionen gewaltsam Vertriebene, vor zehn Jahren waren es noch rund sechzig Millionen, sowie die Kaskade an Kriegen zeigen, wie sehr sich die Dimension des Problems ausgeweitet hat.

Zugleich habe sich auch die Fluchtökonomie gewandelt, so weltsbacher.

Private Projektentwickler hätten mehr und mehr das Ruder übernommen.

wenn es um die Entwicklung von Auffanglagern in Krisengebieten, Abschreckungsanlagen und Asylunterkünften gehe.

Staaten, Länder und Kommunen seien kaum noch als Bauherren aktiv.

Und mit der Übernahme der privaten Akteure kamen die Missstände.

Überteuerung, Erpressung, Verwahrlosung, Outsourcing, Steueroptimierung, Briefkastenfirmen, organisierte Verantwortungslosigkeit, politische Geheimhaltung sind ständig wiederkehrende Themen.

Postapokalyptische Raumplanung.

Ein Beispiel ausgelagerte Verantwortung für die Versorgung der Wohnungslosen, das Welsbacher anführt, ist die Realisierung von Flüchtlingsunterkünften in der deutschen Hauptstadt.

Architekten, Projektentwickler, Bauingenieure und Firmen mit guten Kontakten in die Landespolitik nutzten ausgiebig das Saisongeschäft mit den Geflüchteten.

Projekte wurden in intransparenten Public-Private-Partnerships realisiert, wobei Paketlösungen von der öffentlichen Hand erworben, oder gänzlich von privaten Firmen umgesetzt wurden.

So schloss der Immobilienunternehmer Wolfgang Penz schon in den neunzehnhundertneunziger Jahren, als im Zuge der Jugoslawien-Kriege Menschen nach Westeuropa flohnen, mit dem Berliner Senat Verträge für viertausend Betten in Massenunterkünften ab, die ihm nach eigenen Angaben pro Jahr zwölf Millionen D-Mark einbrachten.

Auch heute mischt der gut verdratete Projektentwickler weiter bei Flüchtlingsheimen mit.

Die Profitmethode ist die gleiche wie vor dreißig Jahren.

satte Einnahmen mit Schrottimmobilien, inklusive Baumängeln und Überbelegung für die Schutzsuchenden, wobei er die Firma schnell für Insolvent erklärte, um nicht für die Schäden aufkommen zu müssen.

Die Steuerzahler dürfen dank des Berliner Immobilienfilzes dann für die Sanierung aufkommen.

Aber auch die Erzeugung von Fluchtursachen ist ein lukratives Geschäft, nicht nur für Rüstungsunternehmen wie den deutschen Waffenhersteller Rheinmetall.

So legt unter anderem der jüngste UN-Bericht der Sonderberichterstatterin für die besetzten Gebiete Palästinas, Francesca Albanese, da, wie forty-eight Unternehmen von Logistikern über IT-Konzernen bis zu Finanzinstituten mit ihren Produkten und Dienstleistungen am israelischen Völkermord im Gasastreifen beteiligt sind.

In Palästina zeigten sich dabei die Umrisse eines geostrategischen, durchmilitarisierten Raumregimes So Welsbacher in Anlehnung an die Studie des britisch-israelischen Architekten Eyal Weitzmann mit dem Titel Hollow Land, Israel's Architecture of Occupation.

Man habe die öffentlichen Räume und Landschaften als antizipierte Kampfzonen vollkommen ausgehöhlt.

Und damit Hilfe von Architekten sei eine Art totalitärer Idealstaat des militärisch-industriellen Komplexes vorangetrieben worden.

Das Ergebnis sei eine gebaute Postapokalypse, in der Mauern Lager und Slums zu konstituierenden Elementen der planerischen Gestaltung des staatlichen Gemeinwesens gehören.

Das Buch bleibt aber nicht beim Einzelfall stehen, sondern sieht in militarisierten Sperrzonen allgemeinere Tendenzen wirken.

So finde man innerhalb nationalstaatlicher Rahmen ungewöhnliche Rechtsräume, anormale Territorien und eigentümliche Zuständigkeitsbereiche, wie Steueroasen, Enklaven, Freihäfen, Zollfreibezirke, Briefkastenfirmen, künstliche Inseln, Flüchtlingsstädte, abseits der normalen Regulierungen und menschenrechtlichen Verpflichtungen.

Im autoritären Fahrwasser versuche man nun nicht nur den Raum nach außen nationalistisch abzuschirmen, sondern auch nach innen aufzuspalten.

Im Dunstkreis des Wagniskapitalgebers und Trump-Anhängers Peter Thiel, PayPal-Palantir, wird etwa über Privatstädte für Superreiche gesprochen.

Während die US-Regierung den modernen Staat aushöhlt, zirkulieren in den USA Ideen, ihn komplett zu zerschlagen und die Souveränität zu dezentralisieren.

Wobei am Ende nur noch eine Art Netzwerk von privaten Enklaven bzw.

modernen Lehnsgütern entstehen würde, in die man sich einkaufen kann, wie in eine gated Community.

Der reaktionäre Blogger und US-Philosoph Curtis Jarvin, auf den sich Vizepräsident JD Vance immer wieder bezieht, nennt sie SoftCorps.

Ein Portmonto aus den Begriffen Sovereignty.

also Souveränität und Corporations, also Konzernen.

Gentrifizierung durch Bombe.

Gleichzeitig wachsen an der gesellschaftlichen Peripherie die Slums weiter, die Zonen informellen, Wohnens und Lebens der Elenden, oft Orte für Geflorene und Wohnungslose, von denen sich die Gesellschaft mit Mauern abschirmt.

Das ist längst kein Problem mehr des globalen Südens, wie Welsbacher betont.

In den USA, Aber auch zunehmend in Europa wuchern die informellen Lebensräume.

Auch wenn für den EU-Raum kaum offizielle Daten erhoben werden, geht man davon aus, dass etwa allein in Österreich dreihundertfünfzigtausend Menschen in Slums wohnen.

Das sind vier Prozent der Bevölkerung.

Die Deutsche Welle stellt in einem Bericht fest, dass insgesamt über dreißig Millionen europäer Slumbewohner sind.

Die ausgegrenzten sind dabei nicht einmal in ihren Slums vor weiterer Ausgrenzung sicher.

Das Buch führt den Stadtteil Sutter City in Baghdad als Beispiel an.

Während der US-Invasion in den Irak ab zwei tausend drei besetzten amerikanische Streitkräfte die Stadt.

Das zentrumsnahe Viertel, Ort verarmter und unterdrückter Shiiten, verwahrloste unter dem Druck der Besatzung immer weiter.

Wobei sich der Unmut über die erodierenden Lebensverhältnisse in Widerstand gegen die Okupation ausdrückte.

Das US-Militär reagierte zwei tausend sieben mit Abriegelung, Checkpoints, Überwachung, und Ausgangskontrollen.

Ein Jahr später kam es zum Aufstand, was einen Häuserkampf nach sich zog, dem der Flächenabriss folgte.

an welche Vorbilder Israels aktuelles Vorgehen im Gaza-Streifen anknüpfen kann.

Der Riviera-Plan von US-Präsident Donald Trump für die zerstörte palästinensische Enklave wirkt wie eine Kopie des Gartenstadtprojekts für Sardar City.

Das Buch dokumentiert eindrücklich, wie weit die intellektuelle Komplizenschaft der Architektenzunft im Dienst kriegerischer Operationen zurückreicht.

So habe der Architekturtheoretiker François Blondel.

bereits im siebzehnten Jahrhundert die perfide Verwertungslogik von Zerstören und Bauen im Anschluss an den antiken Theoretiker Vitruf propagiert.

Als Angriffskrieger entwarf Blondel in einer seiner Schriften effiziente Bomben als Strategie der Verteidigung in einer anderen die optimale Belagerungsarchitektur gegen Angriffe.

Unternehmen haben im Geist Blondels heute längst erkannt, dass Zerstörung ein lukratives Geschäft ist.

Ein Beispiel dafür ist der britische Konzern Serco.

der die ganze Wertschöpfungskette von Kriegen und ihren Folgen für sich ausschöpft.

Einerseits ist das Unternehmen, das in den neunzehndhundertvierziger Jahren als Teil des militärisch-industriellen Komplexes Großbritanniens erfolgreich wurde, bis heute mit dem Kriegsgeschäft verbunden.

Es stellt die Logistik von Waffenlieferungen bereit, setzt Söldner Truppen ein und trainiert Militärpersonal.

Andererseits hält es auch für diejenigen, die vor den Kriegen fliehen, Dienstleistungen parat.

So betreibt der Konzern in Europa Flüchtlingsheime, seine in Essen angesiedelte Tochterfirma European Home Care, EHC, verwaltet in Deutschland allein fifty-fünfzigtausend und in anderen EU-Ländern achtzigtausend Asylsuchende.

Zudem bietet das Unternehmen Integrationskurse für Flüchtlinge an und betreibt Gefängnisse, während es auch an der Organisation von Abschiebungen verdient.

Im Hintergrund arbeitet dabei die neoliberale Verwertungsmaschine des Elends abseits öffentlicher Aufmerksamkeit und reibungslos, die geheime Vergabe von Aufträgen um die inhumane Abschottungsmauer rund um die spanische Enklave Melilla aus Imagegründen für die beteiligten Firmen zu verschleiern, oder die EU-Schreibtischtäter, beflissenen Architekten und das auf endlose Lagerverwaltung reduzierte Flüchtlingshilfswerks UNHCR, die die Verdrängung und Verwaltung des Elends zum Status quo erheben und damit normalisieren.

Symptom moralischer Verehlendung.

Weltsbachers Buch verdichtet sich zu einem aufrüttelnden Kaleidoskop, dass die Heuchelei der westlichen Welt, insbesondere Europas, vor dem Hintergrund von Kriegen und Massenflucht aus unterschiedlichsten Perspektiven ins Visier rückt.

Er legt dabei gekonnt den Finger in die Wunde und liefert eine Art Architekturführer von unten.

Die Bauten der Ausgrenzung, Abschottung und Ablagerung für die entwerteten Bullshit-Menschen, werden dabei als Marker für einen moralischen Niedergang dekodiert.

Weltsbachers Bilanz, Mauern, Lager und Slums kennzeichnen den petrifizierten, Architektur gewordenen Endzustand einer in sich zerstörten gesellschaftlichen Ordnung ohne Moral.

Eine solche Gesellschaft sei memoralisch gescheitert, weil sie die proklamierten Standards der Menschenrechte schendet, innerlich gescheitert, weil sie soziale Spaltung institutionalisiert.

statt das gemeinschaftliche Projekt sozialen Fortschritts durch Ausgleich zu verfolgen.

Politisch gescheitert, weil sie sich als unfähig erweist, ihre Probleme konstruktiv zu lösen und sie stattdessen auf die Betroffenen selbst abwälzt.

Bleibt die Frage, gibt es Auswege aus der Mechanik neoliberaler Inwertsetzung des Elends?

Das Buch ist, was die aktuelle Lage angeht, eher skeptisch.

Es erzählt vom bürgerschaftlichen Engagement von Architekten und Raumplanern, in der sogenannten Flüchtlingskrise, ...

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