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„3 Worte-Neue Notizen aus der Gegenwart“ - KT Guttenberg liest aus seinem neuen Buch-Teil 4

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Hallo und herzlich willkommen, liebe Gisi gegen Gutenberg-Fans.

Jetzt geht es will zu, denn heute erzählt uns Kati Gutenberg aus seinen Reisen in die Wildnis.

Da geht es in die Berge nach Montana bis zu den riesen Baustellenhaufen in Berlin.

Überall trifft man auf das wilde Leben, wenn man nur genau hinheucht und hinschaut.

Und das ist auch gut so.

Wir wünschen Ihnen jetzt viel, viel Freude mit den Kolumnen von Kathi Gutenberg aus seinem neuen Buch, drei Worte, neue Notizen aus der Gegenwart.

Ihr Team Giese gegen Gutenberg.

Willkommen zurück, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer zu Gutenbergskolumnen.

Heute gibt es drei Texte zum Themenkomplex in der Wildnis.

Wildnis umfasst hierbei die tatsächliche Wildnis, wie beispielsweise in Montana in den USA, aber auch die Wildnis Berlins.

Letzte Woche habe ich dem Alltag den Rücken gekehrt.

Klingt wie der Tod des Stoß für diese Kolumne.

Ich bin in den Wäldern Montanas unterwegs, im Nordwesten der USA, ohne Internet.

ohne Handyempfang, das nächste Dorf zwei Stunden entfernt, ein Satellitentelefon für Notfälle, neun Tage ohne Nachrichten.

Eine Realitätsflucht?

Mitnichten.

Eher für eine kurze Zeit die Wiederbegegnung mit einer Wirklichkeit, die mehr fremd geworden war.

Eine Wirklichkeit ohne das begleitende Grundrauschen der Meinungsjongleure unserer Zeit.

Entkoppelt von politischem Streit, von Gerüchten, von großen und konstruierten Skandalen, von Scheinheiligkeit, Schicksalsvorjurismus und Dauerempehrung.

William James, ein pionierter Psychologie in den USA, hat einmal gesagt, der Mensch lebt durch Gewohnheit, aber für seine Aufregungen und Sensationen.

Es muss nicht schaden, mit beiden Erkenntnissen gelegentlich zu brechen.

In diesen Tagen erinnere ich mich an drei Sätze eines verstorbenen Bekannten.

Ich hatte ihn immer wegen seiner unerschütterlichen Gelassenheit in vielen Lebensstürmen bewundert.

Als ich ihn einmal fragte, wie er sich diese innere Ruhe bewahrte, meinte er lediglich, unterwerfe dich nicht in Emotionen anderer, beantworte Benachrichtigungen und Briefe, die dich berühren, niemals spontan und lese ausschließlich die Zeitung des Vortages.

Du wirst überrascht sein, wie viele Tagesaktuelle Aufreger sich dann als Luftnummer erweisen.

Gestern Bin ich in die kleine Ortschaft zum Einkaufen gefahren.

Um diesen Text Zeitverzöger zu posten, betrachte ich ein Lokal mit Wi-Fi.

Fünfziger Jahre Ambiente, Jukebox vier Fernseher.

Auf allen lief ein Schönheitswettbewerb für Rassehunde.

Keine Nachrichtensender, keine Börsenkurse, keine Talkshow.

Stattdessen gut frisierte Pudel.

An der Wand hing ein Schild mit der Aufschrift, and the world keeps spinning.

Wie war die Unaufgeregtheit des Alltags in Montana?

Die zweite Geschichte handelt in der Wildnis Berlins.

Nichts funktioniert in unserem Land.

Ich stehe in einer Kreuzung in Berlin und blicke zu dem Mann, der sich so eben lautstark erschaffiert hat.

An seiner Seite die Ehefrau und zwei kleine Töchter.

Die Ampelanlage ist defekt.

Die Autofahrer ringen regelvergessen mit ihrer Überforderung.

Passiert gelegentlich nicht nur in Deutschland.

Neben mir setzt der Familienvater seine Tiraden fort.

Alles geht im Bach runter, die Wirtschaft, unsere Schulen, das Gesundheitssystem, ein Disaster, dann die Flüchtlinge und diese ganze schreckliche Stadt, eine einzige Baustelle.

Ich sehe mich um.

Wir befinden uns in einer der schönsten Ecken von Berlin-Mitte.

Das driste grauere Nachwändezeit ist längst gewichen, nirgendwo steht ein Gerüst.

Weit und breit keine Straßensperrung.

Selbst das Wetter ist beschissen, sekundiert seine Frau.

Eine interessante Wahrnehmung.

Seit geraumer Zeit bahnt sich nämlich die Sonne ihren Weg durch die schweren Wolken.

Die Kinder blicken nach oben, ratlos.

Eine stupste seine Eltern an, die sich unerblässig weiter aufregen.

Aber es scheint doch die Sonne.

Der Himmel ist wunderschön.

Tatsächlich leuchtet er in diesem frühen Abend in schillernden Farben.

Die Mutter gerantelt.

Für zwei Minuten regnet es wieder.

Es ist zum Mäusemelken.

Bei dem Mädchen Feigsen über die praktische Umsetzung des Mäusemelkens, bis wir alle vom Trubel auf der anderen Straßenseite abgelenkt werden.

Dort ist ein junger Dackel seinem Herrchen entwischt, mehrere Passanten versuchen, erfolglos ihn einzufangen, er rettet sich in ein Lokal.

ausgerechnet, eine herrlich groteske Szene.

Unmöglich diese Hundehalter, stenkter Vater.

Ich frage mich, mit welchem Weltbild diese Kinder wohl aufwachsen.

Verlieren wir mit zunehmenden Alter die Fähigkeit, uns an den vordergründlichen kleinen Dingen Schönheiten und Kuriositäten dieser Welt zu erfreuen?

Ist das ja aber ein konstituierendes Merkmal unserer heutigen Mentalität?

Es zieht sich jedenfalls durch Kommentarspalten, Rezensionen und allabendliche Talkrunden.

Die Begriffe Zuversicht und Optimismus scheinen derzeit gute Aussichten für eine Sonderausstellung im nahegelegenen deutschen historischen Museum zu haben.

Natürlich gibt es Gegenbeispiele.

Menschen, die sich nicht aufgerufen fühlen, jeder Begebenheit eine negative Wendung zu geben.

Die einem Ampelausfall in Berlin mit Humor begegnen würden, bei aller Versuchung zu wunderbaren Analogien und allen Verständnis für die zuweilen Erdrückenden sorgen unserer Zeit.

Lichtblicke.

Da andernfalls eine Gesellschaft, in der selbst ein halbvolles Glas als Zumutung empfunden wird, innerlich zu verdorrend droht.

Einige Tage später.

Osterferien in Nordschweden.

Ich sehe nach vielen vergeblichen Anläufen erstmals die Polarlichter und bin hingerissen von der Magie des Augenblicks, bis sich jemand beschwert, dass die Aurora am Nachthimmel eine einzige Enttäuschung sei.

Auf dem Handy wären die Farben viel spektakulärer, ich erwege, Mäuse zu melken.

Und die letzte Reise, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, führt uns nach Tokio.

Eine Hotelbar am späten Abend.

Auffangbecken der temporär Heimatlosen.

Als der Barpianist aufsteht, beachtet ihn niemand.

Dabei ist eine mächtige Erscheinung.

Begegnete man ihm auf der Straße, würde man eher an ein Türsteher als einen feinsinnigen Musiker denken.

Seinen Rausschmeißer hat er bereits gespielt, Scott Chaplin, zauberhaft interpretiert.

Er sortiert die Notenblätter, schließt sanft den Flügel, dann den Deckel über der Tastatur, streicht noch einmal mit der Hand über das Klavier.

Seine Zuneigung scheint dem Instrument zu gelten, weniger den Menschen.

Er bespielt die Einsamen, die müden, die erfolgreichen und gescheiterten und im Zweifel auch sich selbst.

Als er an mir vorbeigeht, bedanke ich mich für sein Spiel.

Ich frage ihn, ob in die Teilnahmslosigkeit seines Publikums angesichts seiner Begabung nicht schmerzen würde.

Er lächelt mich an.

Nicht mehr, sagt er mit britischem Akzent.

Nach einigen Jahren habe ich begriffen, dass ich an solchen Orten eine Flucht begleite.

Manche fliehen vor sich selbst, andere zu sich.

Aber es hätte sich etwas geändert.

Früher wäre er noch fünfmal am Abend um als Time Goes By gebeten worden.

Heute gibt es kaum noch Wünsche.

Der Titel ist Realität geworden.

Er verabschiedet sich in die Nacht, mit den Augen eines Menschen, der sich mit seinem Lebensweg arrangiert hat.

Irgendwann mag er vielleicht von einer Solistenkarriere geträumt oder ein wenig eifersüchtig auf Kollegen geblickt haben, deren Begabung im Widerspruch zur Größe ihrer Bühne stand.

Wie bei ihm selbst.

Nur umgekehrt.

Morgenabend wird er widerspielen.

Der Anonymität seiner Zuhörer die Illusion von Begleitung schenken und irgendwann leise den Flügel schließen.

Tokyo.

Ein Hotelbar am späten Abend.

Auffangbecken der Temporär.

Heimatlosen.

Liebe Zuhörer, nächste Woche hören wir uns wieder an gleicher Stelle mit drei neuen Geschichten und ich freue mich, wenn Sie wieder zuschalten.

Alles Gute!

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