View Transcript
Episode Description
Es beginnt mit einem Höhenflug. Fasziniert beobachtet der Ich-Erzähler, der Peter Wawerzinek wieder zum Verwechseln ähnlich sieht, die Flugkünste der Stare über der Stadt Rom. Eine gute Zeit scheint anzubrechen. Ein Stipendium in der Villa Massimo wurde dem Schriftsteller zugesprochen. Aber auf den letzten Metern dorthin erleidet er einen ersten Schwächeanfall.  
Bald gibt es weitere Vorzeichen für kommendes Unheil: den Totalverlust eines Manuskripts und schließlich ein scheußliches Frieren mitten im Sommer. Wawerzinek ruft seinen Arzt in Berlin an, der zu einer schnellen Untersuchung drängt. Die bestürzende Diagnose: Krebs. 
Beherberge neuerdings einen Mörder in mir. Hat sich feige in meinem Magen eingenistet. Frisst von meinem Fleisch. Trinkt von meinem Blut.Hausfriedensbruch im eigenen Körper Für die Chemotherapie und die Operation kehrt er „inkognito“ nach Berlin zurück, verkriecht sich in einer Einzimmerwohnung, um sich ganz auf sich selbst und den „Hausfriedensbruch“ in seinem Körper zu konzentrieren. „Rom sehen und nicht sterben“ ist ein literarischer Abwehrzauber gegen den Tod, der nicht zum ersten Mal mit einladender Geste auf Wawerzinek zukommt. Seit Kindertagen gab es immer wieder lebensgefährliche Unfälle und Desaster. Und so hofft er, dem Tod auch diesmal von der Schippe zu springen. Sein Roman ist das Überlebensbuch eines Menschen, der aus vielem Kraft schöpft – dem Jazz, der Natur und vor allem aus der Sprache, der Poesie und einer Fabulierlust, mit der sich die bittere Realität entschärfen lässt.Quelle: Peter Wawerzinek – Rom sehen und nicht sterben
Setze den unerwünschten Begriff vor die Tür. Spreche ihm die Allmacht ab. Breche ihm die Klauen. Beschert mir weniger beängstigende Gedanken, sage ich Krätz zum Krebsgeschwür in mir. (…) Erweitere die Verniedlichungsform. Sage gar Min Schietkrätz, um das Übel somit, dreifach am Schopf genommen, zu zerstückeln.Sich selbst singen Flugs wird auch der Stadtteil Trastevere, in dem der Schriftsteller inzwischen lebt, in „Trostwerdemir“ umgetauft. So zelebriert Wawerzinek Lautmalereien, Wortwitze und Kalauer wie die „panische Treppe“, spielt mit Märchenmotiven und Gedichtzeilen. Spannkraft bekommt seine Suada durch die vielen Ellipsen, also die Verknappung der Sätze durch das Weglassen von Wörtern. Oft fällt dabei jenes Wort unter den Tisch, das bei Wawerzinek doch über allen anderen steht: das „Ich“. Nicht zufällig zitiert er Walt Whitmans „Song of Myself“, wo es heißt: „Ich feiere mich selbst und singe mich selbst.“ Zu guter Letzt Liebe Auch Wawerzinek „singt sich selbst“, auch er ist ein literarischer Selbsterforscher, der in den eigenen Schmerz- und Glückserfahrungen die Welt erschließt. Allerdings fehlen dem Roman über die monomane Selbstdarstellung hinaus andere interessante Figuren. Es gibt drei wichtige Bezugspersonen, die aber alle etwas Gesichtsloses haben: Da ist der ominöse Briefpartner, an den sich der Text in direkter Ansprache richtet; da ist – wie ein guter Geist – die längst verstorbene Großmutter mit ihren Sprüchen und Lebensweisheiten. Und da ist zu guter Letzt die neue Partnerin, die dem Finale des Romans euphorische Momente beschert: nicht nur den Krebs überstanden, sondern an einer Bushaltestelle die Liebe auf den ersten Blick gefunden, die sich auch noch ohne Komplikationen in einen glücksdurchleuchteten Alltag überführen lässt. Aber auch diese Frau wird mehr beschworen als beschrieben, als wäre sie eine Emanation des überschwänglichen Wawerzinek-Ichs. Dennoch ist „Rom sehen und nicht sterben“ ein beeindruckendes Buch: anrührend in seiner schonungslosen Ehrlichkeit und existentiellen Tiefe, erheiternd durch den Witz und die quecksilbrige Sprachkunst. Hinzu kommen die Reize eines Rom-Reiseberichts, dessen Erzähler als „Stadtläufer“ die Zuckerstücke des Tourismus komplett ignoriert, um seinen ganz eigenen süßsauren „Romolog“ zu formulieren.Quelle: Peter Wawerzinek – Rom sehen und nicht sterben
